Der Fromme Dieb
lange und wird auch noch einige Jahre andauern, täuscht Euch da nicht. Ein Ende könnte nur durch den Tod all dieser alten Männer herbeigeführt werden und nicht durch Wunden, durch Stillstand und Alter und Überdruß. Ich möchte nicht darauf warten, auch so einer zu werden.«
»Und ich auch nicht!« stimmte Hugh eifrig zu. »Deshalb frage ich«, fuhr er fort und hob erwartungsvoll eine Braue, um dem souveränen Blick seines Gegenübers zu begegnen, »was tut ein vernunftbegabter Mann, während er diese Wartezeit, so gut es eben geht, aussitzt?«
»Er bestellt seinen Acker, hütet seine Herde, flickt seinen Zaun und schärft sein Schwert«, antwortete Robert Bossu.
»Zieht Steuern ein? Zahlt seine Schulden?« fragte Hugh.«
»Beides. Auf Heller und Pfennig. Und, Hugh… er behält seine Meinung für sich. Besonders jetzt, da Worte wie Verräter und Überläufer in aller Munde sind. Ich habe Stephen geschätzt, und ich schätze ihn noch immer. Aber dieses ruinöse Nichts, das er und sein Vetter zwischen sich geschaffen haben, schätze ich gar nicht.«
Der Nachmittag zeigte die ersten Andeutungen von Dämmerlicht. Bald würde es zur Vesper läuten. Hugh leerte sein Glas und stellte es auf den Tisch. »Ich sollte mich nun wohl besser um meine Herde kümmern, da ich die Betreuung der beiden Gefangenen des Abtes als meine Aufgabe betrachten muß. Wir haben immer noch über diesen Mord zu verhandeln.
Und Ihr, mein Lord? Ich nehme an, Ihr kehrt in Euer Land zurück. Wir leben nicht in einer Zeit, in der man länger als ein paar Tage von seinem Besitz fort sein sollte.«
»Ich gehe nur ungern, ohne den Ausgang der Geschichte zu kennen«, gestand der Graf mit einem selbstkritischen Lachen.
»Ich weiß, Mord ist kein Scherz, aber Eure beiden Gefangenen… Glaubt Ihr wirklich, einer von ihnen sei fähig, einen Mord zu begehen? Oh, ich weiß, von Gesichtern läßt sich nicht ablesen, was der Geist dahinter ersinnen kann, und Ihr geht so umsichtig wie möglich mit ihnen um. Was mich betrifft, so werde ich wohl morgen oder übermorgen meinen Abschied nehmen. Ich schätze mich glücklich, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben«, sagte er und erhob sich, als auch Hugh aufstand. »Oh, und noch eine glückliche Fügung: Rémy und seine Diener werden mit mir gehen. In meinem Haus ist Platz für einen solch guten Poeten und Liedermacher. Glück für mich, daß ich ihm begegnet bin, ehe er sich auf den Weg nach Chester machte. Glück auch für ihn, denn er hätte dort sein Talent vergeudet. Ranulf hat jetzt an gewichtigere Dinge zu denken als an Musik, falls er überhaupt ein Gespür für Musik hat, was ich bezweifle.«
Hugh verabschiedete sich, ohne gedrängt zu werden, noch ein Weilchen zu bleiben, obwohl ihn der Graf, der Höflichkeit genügend, die wenigen Schritte bis zur Tür begleitete. Der Graf hatte alles gesagt, was er zweifellos allen Männern von Einfluß und Geltung zu sagen pflegte, nachdem er sie einer Prüfung unterzogen und festgestellt hatte, daß er sie schätzen und respektieren konnte. Er hatte Saatgut auszustreuen und suchte nach geeignetem Erdreich, wo es Wurzeln schlagen und gedeihen würde. Als Hugh die Treppe erreichte, rief die Stimme hinter ihm mit sanftem, aber deutlichem Nachdruck: »Hugh!
Denkt stets daran!«
Hugh und Cadfael kamen zusammen aus Tutilos Zelle und zogen sich im Dämmerlicht nach der Vesper in den Kräutergarten zurück, wo sie das Wenige, das sie aus dem Novizen herausbekommen hatten, besprechen wollten; und es war wirklich nur wenig, stimmte aber genau überein mit dem, was er von Anfang an berichtet hatte. Der Junge hatte geschwollene Lider und war schlaftrunken und, falls er Furcht vor seinem Schicksal empfand, noch viel zu matt, um die vielen Fallstricke erkennen zu können, die auf ihn lauerten. Kein Wort über Daalny: Was sie betraf, war er auf der Hut. Er hockte auf seiner schmalen Pritsche, müde, gleichgültig, fast resigniert, beantwortete jede Frage ohne verdächtiges Zögern und lauschte mit offenem Mund und erstaunten Augen, als Cadfael ihm erzählte, wie die heilige Winifred durch die Aussagen des Evangeliums endgültig an Shrewsbury zurückgehen würde und wie Jerome sein überraschendes Geständnis herausgesprudelt hatte, anstatt abzuwarten, vom Himmel angeklagt zu werden.
»Auf mich?« rief Tutilo ungläubig. »Er hatte es auf mich abgesehen?« Und bei der abwegigen Vorstellung, in Jerome einen Mörder und in sich selbst das Opfer zu sehen, lachte er unvermittelt
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