Der Fromme Dieb
von der Abteivorstadt zur Fähre ein, bog dann aber zum Pferdemarkt ein und versteckte sich auf dem Heuboden über dem Stall, ganz wie er’s erzählt hat. Und sie schlüpfte durchs Tor beim Friedhof hinaus, um ihn dort zu treffen. Sie warteten, bis es zur Komplet läutete; dann trennten sie sich und verschwanden über denselben Weg, auf dem sie hergekommen waren. Das hat sie erzählt. Er hat das nicht erzählen wollen, aus Angst, es könnte ihr zum Nachteil gereichen.«
»Dann waren sie also den ganzen Abend auf dem Heuboden miteinander beschäftigt, wie schon so manches Paar vor ihnen«, sagte Hugh lachend.
»In gewisser Weise schon, aber nicht wie jedes andere Paar.
Nicht ganz so. Denn sie sagt, sie hätten geredet, sonst nichts.
Und die beiden hatten vieles zu bereden, da sie bis dahin wenig Gelegenheit dazu hatten. Nie zuvor waren sie außerhalb der Klostermauern beisammen gewesen. Und ich bezweifle sogar, daß sie zum Kern der Dinge vordrangen, die sie sich hätten sagen sollen. Denn glaub mir, Hugh, sie hat schon ein Auge auf ihn geworfen, und er steht, auch wenn er es vielleicht selbst noch nicht weiß, bereits in ihrem Bann. Als sie die Glocke zur Komplet hörten, so sagte sie, hätten sie gemeinsam das Abendgebet gesprochen.«
»Und du glaubst das?«
»Warum hätte sie es mir sonst erzählen sollen?« entgegnete Cadfael schlicht. »Sie hatte mir nichts zu beweisen. Sie hat es mir aus freien Stücken erzählt und brauchte kein Wort hinzuzufügen.«
»Nun, wenn es wahr ist«, sagte Hugh ernst, »so spricht es für Tutilo. Es stimmt mit der Zeit überein, zu der er bei uns auf der Burg eintraf, und bestätigt, daß er eine Stunde später als Aldhelm den Pfad entlang gekommen ist. Aber du weißt ebensogut wie ich, daß die Aussage eines Mädchens kaum mehr Gewicht haben wird als die von Tutilo, wenn die Dinge zwischen den beiden so stehen, wie du behauptest. Wie unschuldig das Stelldichein auch gewesen sein mag.«
»Hast du schon mal daran gedacht«, fragte Cadfael finster, »daß Herluin jetzt, da er den Anspruch auf die Heilige verloren hat, sicher bald heimkehren möchte? Er ist Tutilos Vorgesetzter und will ihn sicherlich mitnehmen.
Und soweit ich sehe, ist er beim derzeitigen Stand der Dinge auch durchaus berechtigt, es zu tun. Hättest du ihn wegen Mordverdachts auf der Burg festgehalten, lägen die Dinge anders. Aber nun befindet er sich im Gewahrsam der Kirche, und du weißt, wie starr und unerbittlich die Kirche auf ihrem Recht besteht. Hätte Tutilo die Wahl zwischen einem weltlichen Urteil wegen Mordes und einem kirchlichen wegen Diebstahls und Betrugs, könnte er durchaus das letztere vorziehen. Ich jedenfalls würde ihn lieber bei dir als bei Herluin in Haft wissen.
Aber Herluin wird niemals freiwillig von ihm lassen. Der törichte Knabe hat bei seinem Prior die Hoffnung geweckt, eine wundertätige Heilige für sein Kloster zu gewinnen, was ihm aber mißlungen ist und nur zu Schmach und Schande geführt hat. Sobald Herluin ihn nach Ramsey gebracht hat, wird er ihn zehnfach dafür bezahlen lassen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich sähe ihn lieber für eine Tat verhaftet, die er letztlich nicht begangen hat, also bei dir in Gewahrsam, als endlosen Bußübungen ausgesetzt für etwas, für das er sich schuldig bekannt hat.«
Hugh lächelte leicht verschmitzt und musterte Cadfael mit ungespielter Zuneigung. »Nutze lieber die wenige verbleibende Zeit, und finde mir den Mann, der den Mord wirklich begangen hat, da du ja so sicher bist, daß es der Junge nicht war. Sie werden wohl alle gemeinsam aufbrechen, denn Rémy und seine Leute schließen sich Robert Bossu an, und Herluins Heimweg führt bis Leicester über dieselbe Straße – dorthin, wo der Wagen überfallen wurde und das ganze Theater angefangen hat – , und Herluin wäre dumm, auf sicheren Geleitschutz zu verzichten. Er wird also darum bitten, mit dem Grafen reisen zu dürfen, falls der Graf es ihm nicht sogar anbietet, bevor Herluin darum bitten kann. Ich könnte Robert überreden, die Abreise um ein paar Tage zu verschieben, aber nicht länger.«
Er stand auf und streckte sich. Es war ein ereignisreicher Tag gewesen; viele Rätsel waren aufgetaucht, keines war gelöst worden. Er hatte sich ein oder zwei Stunden in Alines Gesellschaft verdient und dazu eine liebevolle Balgerei mit dem fünfjährigen Quälgeist Giles, bevor der Junge von Constance, seiner ergebenen Sklavin, ins Bett gebracht wurde. Sollten unwichtigere
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