Der Fruehling des Commissario Ricciardi
Leuteso reich? Vielleicht fand sich auf der Liste auch der ein oder andere, der sein Geld im Schweiße seines Angesichts verdiente. Maione schüttelte im Gehen den Kopf: Die Pförtnerin hatte alle Daten ausgespuckt und dabei einen außerordentlichen Spürsinn unter Beweis gestellt. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er sie unverzüglich rekrutiert und zumindest zum Gefreiten berufen. Unter den Namen befand sich auch einer, der ihm bedeutend erschien, er würde mit dem Kommissar darüber sprechen; das waren keine Leute, die gerne ins Präsidium kamen. Aber sie würden morgen darüber nachdenken, jetzt hatte er zu tun.
Ein wenig schnaubend aufgrund seines Gewichts und des Anstiegs ging er die Straße hoch, die zu den Quartieri Spagnoli führte. Wie üblich grüßten die Leute und zogen ihre Hüte – stets aus gebotener Entfernung. Maione hatte beschlossen, jemandem einen Besuch abzustatten. Er würde nicht bei Filomena vorbeischauen, um zu hören, wie es ihr ging und ob sie etwas brauchte, vielleicht könnte er das am nächsten Morgen tun. Auch hatte er nicht vor, nach Hause zu gehen; es war noch früh und er hatte außerdem keine Lust dazu – auch wenn er das nicht einmal vor sich selbst zugegeben hätte.
Er kletterte bergauf; unter ihm lag der Corso Vittorio Emanuele, die alte Bourbonenstraße, die die Altstadt umgab. Hinter dem Vicolo di San Nicola da Tolentino, am Ende einer Sackgasse, die im Gestrüpp der umliegenden Felder endete, stand ein nicht allzu großes Wohnhaus. Eine enge, steile Treppe führte zu einer Dachwohnung mit Fensterbänken voller Taubenkot: Dort wohnte jemand, der Maione bei verschiedenen Gelegenheiten schon sehr nützlich gewesen war.
Ein wenig außer Puste klopfte er an eine Tür, die jeden Moment in Stücke zu fallen drohte. Eine tiefe und anmutige Stimme fragte, wer da sei, und Maione nannte seinen Namen. Die Tür öffnete sich.
»Brigadiere, na so eine Ehre! Hätte ich gewusst, dass Sie mich besuchen, hätte ich mich schön gemacht und mir ’was anderes angezogen!«
Bambinella war nicht leicht einzuordnen. Die schwarzen Haare waren zu einem Knoten zusammengefasst, aus dem ein paar einzelne Strähnen herausfielen, sie trug lange, hängende Ohrringe, und ihr Gesicht war stark geschminkt. Ihre Kleidung bestand aus einem grellen Morgenmantel, unter dem die Spitze des Unterrocks hervorlugte. Dazu Netzstrümpfe und hohe Absätze. Auf den Wangen war unter einer dicken Puderschicht ein Bartansatz zu erkennen.
»Na komm, lass uns reingehen, der Weg hier rauf hat mich zehn Jahre meines Lebens gekostet.«
»Ach was, ein schöner, starker Mann wie Sie, der wegen einer kleinen Steigung ins Schwitzen gerät? Bitte, setzen Sie sich, was kann ich ihnen anbieten? Malzkaffe, einen Likör?«
»Nur ein Glas Wasser. Ich hab’ leider nicht viel Zeit, ich wollte dich sprechen.«
Maione hatte Bambinella einige Jahre zuvor bei einer Razzia in einem illegalen Bordell in San Fernando kennengelernt, einem jener preisgünstigen Etablissements, in denen bereits in die Jahre gekommene Frauen oder Mädchen vom Land widerrechtlich ihrem Gewerbe nachgehen. Zwischen all den alten, hässlichen und unförmigen »Damen« stach eine wahre Schönheit mit Mandelaugenhervor; erst als sie die Personalien aufnahmen, kam der »Haken« ans Licht.
Maiones Einsatz war gefragt, weil Bambinella, dessen richtiger Name nicht in Erfahrung zu bringen war, kurz nacheinander drei Männer des Geleitschutzes zu verführen versuchte, um dem letzten dann mit seinen Klauen die Augen zu zerkratzen.
In der darauffolgenden Nacht, die er in einer Zelle des Präsidiums verbracht hatte, hörte er nicht einen einzigen Augenblick auf zu weinen, zu reden und gegen alle zu wettern; letztendlich übernahm Maione die Verantwortung dafür, ihn gehen zu lassen. Auch weil man ihn ja im Grunde genommen nicht als Hure bezeichnen konnte.
Während er den langen Fantastereien zuhörte, gelangte der Polizist zu der Überzeugung, dass der Transvestit viele, sogar sehr viele Dinge wusste. Und dass der Dankbarkeitsvorschuss, den er durch seine Freilassung gewann, ihm noch sehr nützlich sein würde.
Von diesem Zeitpunkt an nutzte Maione den besagten Vorschuss sparsam, doch effizient. So manche entscheidende Information stammte tatsächlich aus der Dachwohnung, in der Bambinella weiterhin diskret praktizierte. Maione drückte ein Auge zu, Bambinella flüsterte ihm dafür ins Ohr.
XXXIII
Gegen sieben Uhr abends hatte das Meer begonnen, gegen die Klippen der
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