Der Frühling - Hyddenworld ; 1
nächsten weiterreichte.
Jedes Mal, wenn ein Gast sein Glück versuchte und zog, musste er, so wollte es der Brauch, vorher mit theatralischer Stimme rufen: »Ich glaube, ich hab’s!«
»Es ist kein Geschenk für die Braut, sondern ein Geschenk derBraut an den Bräutigam«, flüsterte Stort. »Jedes Mal, wenn jemand an einem losen Ende zieht, werden die Knoten noch fester. Aber theoretisch gibt es ein Ende, das alle Knoten löst, egal wie fest sie sind. Dann darf der glückliche Empfänger das Geschenk auspacken. Wer zieht und herausfindet, worin das Geschenk besteht, wird der Bräutigam. Aber das geschieht natürlich nie, das ist ja der Witz dabei.«
»Niemand will das«, erklärte Brif, »denn die Braut soll selbst wählen können, wen sie möchte. Außerdem wissen wir bereits, wer es ist.«
Er hatte recht. Es geschah nie etwas, wenn jemand an der Schnur zog, und die angenehme Spannung stieg und stieg bis zu dem Augenblick, da der letzte Gast sein Glück versucht hatte. Dann durfte die Braut mit der neben ihr liegenden goldene Schere den kunstvoll geknüpften Knoten zerschneiden, das Geschenk auspacken und ihrem Auserwählten überreichen.
Der Vorgang zog sich lange hin. Währenddessen wurden mehrere Gänge gereicht und auch Getränke genossen, sodass die Stimmung immer ausgelassener und jeder Versuch, den Knoten zu lösen, von noch lauterem Klatschen und Johlen begleitet wurde.
Brif nickte in Richtung des schüchternen jungen Hydden, der anscheinend Arnold Mallarchis bester Freund war und neben der Braut saß.
»Er wird das Geschenk am Ende bekommen«, sagte Pike ohne große Begeisterung, denn auch ihn drängte es, sich auf die Suche nach Katherine zu begeben. »Sobald das Geschenk überreicht ist, können wir uns wahrscheinlich empfehlen.«
»Dann gibt es also kein Schnurende, das den Knoten lösen kann?«, fragte Jack.
»Das ist eine hochinteressante Frage«, antwortete Brif, »auf die unsere bedeutendsten Mathematiker keine Antwort gefunden haben. Meine Wenigkeit eingeschlossen. Er wird ›magischer Knoten‹ genannt und ist seit über hundertfünfzig Jahren nicht gelöst worden.« Das Geschenk wanderte weiter um die Tafel, und jeder durfte einmal an einem losen Ende ziehen, wobei manche sehr kräftig zogen, damit der Knoten noch fester wurde.
»Aber wer ihn geknüpft hat, kennt doch sein Geheimnis.«
»Diesmal hat Ma’shuqa ihn geknüpft. Das Geheimnis wird bei den Bilgenern von der Mutter an den Sohn und dann vom Vater an dieTochter weitergegeben. Sie beherrschen den Knoten mit verbundenen Augen in einem dunklen Raum.«
»Wird er denn nie gelöst?«
»Uns ist nur ein Fall überliefert. Vor hundertfünfzig Jahren, zu Raster Avons Zeit, hat ã Faroün, Meister der Leere und Lautenspieler, bei einem solchen Festmahl das Geschenk erhalten. Es wird erzählt, er habe nach kurzem Nachdenken sachte an einer Schnur gezogen und den Knoten mühelos aufbekommen.«
»Und worin bestand das Geschenk?«, fragte Jack.
»Sie sind ein sehr praktisch denkender und neugieriger junger Mann, mein Freund«, erwiderte Brif. »Es war eine Laute, ein Instrument, das er meisterhaft zu spielen verstand, und das Seltsame daran war, dass es seine eigene war.«
»Was hat er getan?«
»Darauf gespielt, nehme ich an.«
Das Geschenk war, nachdem auch Brif erfolglos gezogen hatte, einmal um die ganze Tafel gewandert, und nur Jacks Versuch stand noch aus. Da plötzlich flog krachend die Tür auf und Barklice platzte in die Gesellschaft, zerzaust und schmutzig vom Gang durch die Tunnel. Unter Entschuldigungen an die Versammelten eilte er zu Jack und den anderen.
»Ich weiß, wo sie war«, sagte er, »und wo sie jetzt eigentlich sein sollte. Aber dann sind Bruntes Fyrd angerückt, und alle haben es mit der Angst zu tun bekommen. Sie wurde zuletzt gesehen, wie sie davonrannte.«
»Wohin?«, fragte Pike mit grimmiger Miene.
»Keine Ahnung«, antwortete Barklice. »Der Spiegel helfe uns. In New Brum ist es sehr gefährlich für ein Mädchen, das wie eine Schwester gekleidet ist und sich in den dortigen Tunneln nicht auskennt. Sie hat keine Chance. Brunte wird sie im Nu wieder einfangen und damit alle unsere Pläne, euch von hier fortzubringen, zunichte machen!«
An der Tafel war Stille eingekehrt, und das Lächeln war aus den Gesichtern verschwunden.
»Sie sind an der Reihe, Master Jack!«, rief der alte Mallarchi im Bemühen, das Fest zu retten. »Sprechen Sie die Worte und ziehen an einer Schnur.«
»Tun Sie es«,
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