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Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Wardine-on-Severn.
    Das Dorf schmiegt sich an die Westseite einer weiten Schleife des River Severn und besitzt nur eine einzige gepflasterte Straße, die zu dem kiesigen Flussufer hinabführt. Die Straße und die zwei oder drei Gassen, die von ihr abzweigen, sind von alten, ärmlichen Hütten gesäumt, die für das menschliche Auge wie Böschungen aus Kies und Erde aussehen, mit alten Türen, geheimen Fenstern, Schornsteinen und Nebeneingängen, die ebenso unauffällig sind.
    Für die Augen eines Hydden, der heute mehr die moderne Stadtwelt gewöhnt ist, hat sich das Dorf eine malerische Schönheit bewahrt und atmet eine Atmosphäre des Friedens und der Ruhe, die hauptsächlich zwei Umständen geschuldet ist: dem bedächtigen, immerwährenden Strömen des Flusses, dem es seine Existenz und seine Lage verdankt, und der außergewöhnlichen Friedfertigkeit und beschaulichen Weisheit seiner Bewohner. Beides dürfte miteinander zusammenhängen.
    In Wardine geht alles einen geruhsamen Gang, doch zu behaupten, dass hier niemals etwas geschähe, wäre falsch. Tatsächlich könnte man sagen, dass an einem solchen Ort die allerwichtigsten Dinge geschehen. Man führt ein gutes Leben, man spricht die Wahrheit, man weiß zu schätzen, was man hat, und jeder hilft ganz selbstverständlich dem anderen, ohne viel Aufhebens darum zu machen.
    Wardine ist ein Ort, in dem viel gefeiert wird – Geburten und Geburtstage, Hochzeiten und Jubiläen, und der Tod als Teil des Lebens, der nicht wegen seiner Endgültigkeit zu fürchten, sondern als der Beginn eines neuen Lebensabschnitts anzunehmen ist.
    Unten am Fluss erweitert sich die Straße zu einem gemeinsam genutzten Platz, der »Anger« genannt wird und auf dem öffentlicheEreignisse stattfinden – Begrüßungen, Verabschiedungen, Zusammenkünfte und all jene Dinge, die den Alltag und die alljährlichen Höhepunkte im Leben der einfachen Leute ausmachen.
    In der Vergangenheit gab es zwei Möglichkeiten, in das Dorf zu gelangen – auf der Landstraße von Südosten her und dann quer über die Felder oder aber von Norden her über die Eisenbahnbrücke. Die Brücke gibt es heute nicht mehr, dafür verkehrt auf dieser Seite eine Fähre, die, wie könnte es anders sein, ein Bilgener und seine Familie betreiben. Die Bilgener leben ganz in der Nähe in den feuchten und beengten, aber durchaus passenden Räumlichkeiten eines halbversunkenen Flusskahns.
     
    An diesem besonderen Morgen stand ein weißes Pferd eine Zeit lang am Ufer neben der Fährestelle und sah zu, wie seine Herrin, die Friedensweberin Imbolc, übergesetzt wurde. Sein Schwanz schwang hin und her, und als es zufrieden schien, verschwand es vom Antlitz der Erde hinauf in die Galaxien der Sterne, um dort zu warten, bis es wieder gebraucht wurde.
    Unterdessen näherte sich Imbolc dem Dorf, das sie in all den Jahrhunderten, in denen sie in den Welten von Menschen und Hydden umhergereist war, stets am liebsten besucht hatte. Schließlich war sie die Friedensweberin, und es hatte viele Jahrhunderte gedauert, ehe sie einen Ort fand, der von Natur aus so friedfertig war, dass er ihrer Fähigkeiten eigentlich gar nicht bedurfte.
    Sie war gekommen, um einem wichtigen Ereignis beizuwohnen, ein Weilchen auszuruhen und Kraft zu schöpfen für die allerletzten, schwierigen Jahre ihres Lebens. Ihre Schwester, die Schildmaid, war auf dem Weg hierher, und Imbolc bereitete sich darauf vor, den mittlerweile zerbeulten Anhänger, den sie um den Hals trug, weiterzureichen und sich das Recht zu verdienen, endlich zu dem Einzigen zurückzukehren, den sie jemals geliebt hatte: Beornamund.
    Für Unsterbliche vergeht die Zeit anders. Bald schreitet sie gemächlich, bald zügig voran, mal fließt sie träge dahin, und dann wieder wird sie zum reißenden Strom. Imbolcs Reise vom fernen Frühling durch die Jahreszeiten zum Winter und nun durch die geborgten Jahre danach hatte fünfzehn Jahrhunderte gedauert, und was noch blieb, war fast nichts mehr.
    So saß sie in aller Ruhe in der Fähre und genoss die Sonne, ehe sie die Gestalt annahm, die sie immer trug, wenn sie in Englalond weilte, die einer fahrenden Händlerin. Um den Fährmann machte sie sich dabei keine Gedanken. In seinem alten Gewerbe pendelte er unablässig zwischen zwei Welten. Er hatte schon Aufregenderes gesehen als weiße Pferde und Gestaltwandlerinnen.
    Aber an diesem Morgen könntest du etwas zu sehen bekommen, das selbst dich überraschen dürfte,
dachte Imbolc verschmitzt.
    Nur ein

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