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Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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war. Er bekam sie nicht persönlich an den Apparat, dafür einen Roger Lynas vom Jugendamt North Yorkshire. Ja, er sei mit dem Fall vertraut. Nein, Einzelheiten könne er nicht nennen. Ja, Unwetter sorgten überall für Chaos, und die zuständige Kollegin aus London, die ihn hätte abholen sollen, habe die Fahrt abbrechen müssen. Und ja, es käme sehr gelegen, wenn sie den Jungen mitnehmen könnten, vorausgesetzt, sie lieferten ihn an der angegebenen Adresse im Londoner Westen ab.
    Aber nein, erst wenn das neue Arrangement von höherer Stelle abgesegnet sei.
    »Komisch«, sagte Richard zu Clare. »Eigentlich sollten wir uns nicht um die Probleme anderer Leute kümmern und uns das Elend der Welt aufhalsen, aber …«
    »Aber wir können ihn nun mal nicht einfach da sitzen lassen, stimmt’s?«
    »Na ja, wir könnten schon«, sagte Richard, immer noch unschlüssig.
    Sie gingen ein paar Schritte, damit sie miteinander reden konnten, ohne dass jemand mithörte. Der Junge blieb, wo er war, und sah ab und zu zu Katherine hinüber. Sie hatten ein paar Worte gewechselt und mehrmals Blicke getauscht, aber jetzt spielte sie für sich. Sie stand auf und ging zu dem Spielzeughaufen, den gerade ein anderes Kind durchwühlte. Sie wollte etwas, und sie kannte die Regeln: Man gab etwas und nahm etwas, egal was. Aber als Tochter eines hier beschäftigten Arztes hatte Katherine immer nur gegeben statt genommen. Es war das weiße Pferd, das sie angezogen hatte. Es sah aus, als galoppiere es stolz über all die anderen Spielsachen hinweg, als seien sie die Erde und es selbst auf dem Weg zu den Sternen.
    »Das möchte ich haben«, sagte sie sich, ein wenig befangen jetzt. Sie fasste es noch nicht an und fragte sich, ob jemand hersah.
    Der Junge.
    Und ihre Eltern.
    Der Junge erhob sich von seinem Stuhl, kam zu dem Spielzeughaufen herüber, ergriff das Pferd und hielt es Katherine hin.
    »Du kannst es haben«, sagte er und kehrte auf seinen Platz zurück.
    Katherine nahm es und hob es in die Höhe, damit ihre Mutter es sehen konnte. Clare lächelte und nickte.
    »Es ist ein weißes Pferd«, sagte das Mädchen, drückte es sich an die Wange, obwohl es alt und zerschlissen war, und grinste.
    Richard lächelte und blickte resigniert. Aus irgendeinem Grund ließ er sich von dieser einfachen Geste die Entscheidung abnehmen. »Also abgemacht«, sagte er.
    Als Clare dem Jungen mitteilte, dass er mit ihnen fahren könne, lächelte dieser kurz erleichtert, aber seine Wachsamkeit blieb.
    Unter diesen Umständen nur natürlich,
dachte Clare und sagte in der Hoffnung, ihn damit zu beruhigen: »Du kannst dich nach hinten setzen zu … ach ja, das ist Katherine.«
    Der Junge blickte wieder ernst. »Ich heiße Jack«, sagte er und brach damit das Eis.
    »Hallo, Jack«, sagte Katherine mit einem unbefangenen Lächeln.
    Das ist ja ganz was Neues,
dachte Clare im Stillen und stellte weiter vor. »Das ist mein Mann Richard. Er ist hier Arzt. Er wird uns fahren.«
    Richard ging in die Hocke und legte Jack die Hand auf die Schulter. »Bist du einverstanden?«
    Jack nickte.
    »Soll ich deinen Rucksack nehmen?«
    Jack schüttelte energisch den Kopf. Er beugte sich von seinem Stuhl und hob ihn auf.
    »Den nehme ich selbst«, sagte er und umklammerte ihn, als sei er alles, was er auf der Welt besaß – was möglicherweise ja auch so war. In diesem Augenblick bemerkte Clare, dass es sich nicht um eines der üblichen billigen Nylonmodelle mit Sportlogo darauf handelte.
    Er war aus dunklem Leder, schön genäht wie ein Koffer aus der Zeit Edwards IV., aber so speckig und abgewetzt, dass er viel älter aussah.
    Und noch etwas anderes fiel Clare auf. Jack rollte das R und sprach mit einem starken, warmen Akzent, denn sie nicht genau einordnen konnte, aber er klang wie ein Junge vom Land.
    »Dann wollen wir mal«, drängte Richard.
    Sie rannten in den Regen hinaus, und die beiden Kinder lachten unbeschwert, als sie nass wurden. Richard setzte sich ans Lenkrad, Clare auf den Beifahrersitz. Katherine nahm hinter ihr auf dem Rücksitz Platz, Jack hinter Richard.
    Sie rollten vom Parkplatz des Ärztezentrums hinaus in den dichten Freitagsverkehr.
    »Laut Vorhersage soll der Regen noch schlimmer werden«, sagte Richard. »Ich glaube, ich fahre über die Landstraße zur Autobahn. Die Strecke ist zwar länger, aber so umgehen wir vielleicht den schlimmsten Feierabendverkehr.«
    Ihre lange Fahrt begann.

14
HAGEL
    F amilie Shore und Jack hatten die letzte Ampel von Thirsk

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