Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)
unterirdischen Tunneln hinab.
Ich habe Gerüchte von ihrer Existenz gehört. In den Archiven haben wir die meisten Baupläne von Camp David. Laut einigen davon gehören die Tunnel zu einem unterirdischen Schutzraum, der bis zum Blockhaus des Präsidenten führt und im Schlafzimmerschrank des Präsidenten endet. Bei einem Notfall kann der Service aus seinem Schrank springen und ihn sofort in Sicherheit bringen.
»Auf diesem Weg kommen wir also zu Wallace?«, erkundige ich mich.
Reed antwortet nicht.
Mich stört das Schweigen nicht. Mich stört nur der Geruch, der immer stärker wird. Mein Magen krampft sich bei dem Gestank zusammen.
Verbranntes Haar.
Alles in Ordnung? , fragt Palmiotti mich mit einem Seitenblick.
Ich nicke und versuche, Reeds Tempo mitzugehen, doch ich weiß, dass irgendetwas nicht stimmt.
Die Struktur der Treppe, die Betonwände und die summenden Neonröhren verleihen diesem Ort die Atmosphäre eines Luftschutzbunkers der sechziger Jahre. Die modernen Erweiterungen sind allerdings nicht zu übersehen. Bewegungsmelder in den Ecken, ein chemischer Detektor, den ich bemerkt habe, als wir den Gang betreten haben, und eine dünne Plastikfolie, die aussieht wie Fliegenpapier und das Stahlgeländerüberzieht. Ich will nicht einmal darüber nachdenken, wofür die gut ist. Wichtig ist nur eins: Wenn die Welt tatsächlich in die Luft geht, ist das hier der Ort, von dem aus sie sie neu aufbauen.
Auf dem ersten Treppenabsatz liegt hinter einer Tür ein schmaler Gang wie in einem alten Krankenhaus, der auf beiden Seiten von Türen gesäumt wird. Agent Reed geht weiter hinunter, zu der tieferen Ebene. Ich spüre einen Druck auf den Ohren. Mittlerweile müssen wir mindestens zwei oder sogar drei Stockwerke unter der Erde sein, und ich kann nur daran denken, wie Richard Nixons Sekretärin, Rose Mary Woods, die Nixon-Tonbänder abtippte und diese berühmten achtzehneinhalb Minuten verlor. Das war in Camp David, wo niemand das Verbrechen sehen konnte.
Mit einem vernehmlichen Knall tritt Reed auf die letzte Metallstufe, dann kommt nur noch Beton. Wir sind am Fuß des Felsens oder zumindest am Fuß der Treppe.
Reed wird kein bisschen langsamer. Ich folge ihm über die Schwelle in einen Gang, der von geschlossenen Türen gesäumt ist. Die Decke wird zwar niedriger, aber das Neonlicht bleibt hell.
»So, wir sind am Ziel.« Reed führt uns in den ersten Raum auf der linken Seite. Wie im Treppenhaus sind auch hier die Mauern aus Schlackensteinen gebaut und kahl. In dem Raum befindet sich nicht viel: eine Metallpritsche aus einer Kaserne, eine dazu passende Kommode und in der Ecke ein mir bislang nicht bekannter Secret-Service-Agent. Ein blasser Mann mit einer spitzen Nase, der irgendwie irisch aussieht. Er sitzt an einem Holztisch und verfolgt etwas im Fernsehen. Doch das hier ist kein Überwachungsraum. Soweit ich das sehe, ist dies ein Schlafquartier.
»Alles klar, Sir«, sagte der irische Agent und steht auf, als wir hereinkommen. »Er ist unterwegs.«
Ich zögere an der Tür, weil ich immer noch nicht genau weiß, was hier eigentlich gespielt wird. Aber ich weiß, was er bedeutet. Er ist immer der Präsident.
»Entspannen Sie sich und atmen Sie tief durch, Beecher«, sagt Reed. Seine Stimme klingt jetzt warm und freundlich. »Sie haben Ihre Sache gut gemacht.«
Er lächelt mich an, und ich erwidere das Lächeln unwillkürlich. Ich fühle mich seltsam getröstet, als ich in den Raum trete. »Also ist Wallace in Sicherheit?«, erkundige ich mich. »Sie haben ihn in Sicherheit gebracht?«
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, erklärt Reed. »Der Präsident war noch nie sicherer.«
Ich sehe hinter ihm im Fernsehen, wie jemand eine amerikanische Fahne schwenkt. Aber als die Kamera eine andere Einstellung liefert, wird mir klar, dass das eine der winzigen Fahnen auf den Kotflügeln der privaten Limousine des Präsidenten ist, des schwarzen Cadillacs, das »Biest« genannt. Und so wie diese Kamera zittert … Das sind Liveaufnahmen des Secret Service.
Der Wagenschlag wird geöffnet, und Präsident Wallace steigt aus, gefolgt von seiner jungen Tochter. Sie winken nicht und sehen sich auch nicht um, sondern gehen direkt auf ihr Ziel zu. Aber der Hintergrund, der schwarze Asphalt, wo sie parken …
Der Präsident und seine Tochter bei ihrem Schulausflug, verkündet einer der Agenten.
Schulausflug? War das nicht …? Ich starre verwirrt auf das Fernsehgerät. Ich dachte, sie hätten den
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