Der Fünfte Elefant
berufli-
chen Laufbahn hatte Mumm gelernt, dass die Friedhöfe vol er
Leute waren, die die Schriften des Marquis von Fantailler gelesen
hatten. Bei einem Kampf ging es vor allem darum, so schnel wie
möglich zu verhindern, dass der Gegner einen schlug. Niemand
strebte danach, Punkte zu erzielen. Mumm hatte unter Umständen gekämpft, bei denen die freie Nutzung der Hände an Luxus grenzte, doch es war erstaunlich, was man mit einem gut gezielten El-
lenbogenstoß erreichen konnte – erst recht dann, wenn er zudem
auf die Hilfe eines Knies zurückgreifen konnte.
Er rammte den Ellenbogen in die Kehle des Werwolfs und wur-
de mit einem schrecklichen Geräusch belohnt. Mumm wartete
nicht ab, packte eine Hand voll Haar, zog, ließ los, schlug mit dem
Handbal en zu und traf das Gesicht in dem verzweifelten Versuch,
seinem Gegner keine Zeit zum Nachdenken zu geben. Angesichts
der Muskeln des Mannes wol te er auf keinen Fal in die Defensive
geraten.
Der Werwolf reagierte.
Es gab einen plötzlichen Moment morphologischer Ungenauig-
keit. Eine Nase verwandelte sich in eine Schnauze, während
Mumms Faust unterwegs war, doch als der Wolf nach ihm
schnappen wol te, geschahen zwei Dinge.
Erstens: Der Wolf befand sich hoch im Baum; keine sehr günsti-
ge Position für ein Geschöpf, das die Natur dazu bestimmt hatte,
auf dem Boden zu leben. Zweitens: Die Gravitation machte sich
bemerkbar.
»Dort unten mag irgendein Spiel stattfinden«, schnaufte Mumm,
als Pfoten am schmierigen Holz vergeblich nach Halt suchten.
»Aber hier bestimme ich die Regeln.«
Er griff nach oben, hielt sich dort am Ast fest und trat zu.
Der Wolf jaulte, als er abrutschte und gegen den nächsten Ast
prallte.
Etwa auf halbem Weg nach unten versuchte er, sich erneut zu
verwandeln, und vereinte so in einer fallenden Gestalt alle Eigen-
schaften eines Geschöpfs, das nicht für den Aufenthalt in Bäumen
geeignet ist, mit denen eines Wesens, das nicht gut auf dem Boden
landen kann.
»Hab dich erwischt!«, rief Mumm.
Geheul erscholl durch den Wald um ihn herum.
Plötzlich brach der Ast, an dem er sich fest hielt. Eine Sekunde
hing er an der schwarzen Hose von Onkel Wanja, die sich irgend-
wo verfangen hatte, und dann riss der alte Stoff. Mumm fiel.
Er erreichte den Boden schnel er, weil der fal ende Werwolf auf
dem Weg nach unten ziemlich viele Zweige entfernt hatte. Aber er
landete weicher, denn der Werwolf richtete sich gerade auf.
Mumms Hand bekam einen zerbrochenen Ast zu fassen.
Eine Waffe.
Seine Gedanken hörten mehr oder weniger auf, als sich die Hand
um den Ast schloss. Was auch immer das Denken in den Pfaden
des Gehirns ersetzte, kam von woanders und war viele tausend
Jahre alt.
Der Werwolf stand auf und wandte sich ihm zu. Der Ast traf ihn
an der Seite des Kopfes.
Dampf stieg von Sir Samuel Mumm auf, als er sich nach vorn
warf und dabei wie ein Tier knurrte. Erneut schlug er zu und brül -
te dabei. Er versuchte überhaupt nicht, irgendwelche Worte zu
formulieren, beschränkte sich darauf, jene Geräusche von sich zu
geben, die vor den Worten existiert hatten. Wenn ihnen überhaupt
eine Bedeutung zukam, dann drückten sie Bedauern darüber aus,
dass sie nicht genug Pein verursachen konnten…
Der Wolf jaulte einmal mehr, fiel, rol te sich herum… und wech-
selte die Gestalt.
Der Mensch streckte ihm flehentlich eine blutende Hand entge-
gen. »B-bitte…«
Mumm zögerte mit erhobener Keule.
Die rote Wut verflüchtigte sich. Er stand auf einem kalten Hügel,
vor dem Hintergrund eines frostigen Sonnenuntergangs, und sie
hatten ihn al ein gelassen, und viel eicht schaffte er es bis zum
Turm…
In einer fließenden Bewegung sprang der Werwolf und wurde
dabei wieder vom Menschen zum Wolf. Mumm fiel mit dem Rü-
cken in den Schnee, spürte heißen Atem und das Blut, aber keinen
Schmerz…
Keine Klauen kratzten, und keine Zähne bissen.
Und das Gewicht wurde weniger. Hände zogen den Körper von
Mumm herunter.
»Das war ziemlich knapp«, ertönte eine fröhliche Stimme. »Man
sol te ihnen gegenüber nie nachsichtig sein.« Ein Speer hatte den
Werwolf durchbohrt.
»Karotte?«
»Wir zünden ein Feuer an. Das ist ganz einfach, wenn man das
Holz zuerst in die Fettquellen taucht.«
»Karotte?«
»Bestimmt hast du schon seit einer ganzen Weile nichts mehr ge-
gessen. So nahe der Stadt gibt es nur wenig Wild, aber ich glaube,
wir haben noch etwas…«
»Karotte?«
Ȁh, ja,
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