Der Fünfte Elefant
und Menschen teil-
weise verwischt.
Er fühlte sich wie betrunken. Teile seines Gehirns schalteten sich
ein und aus. Seine Augen fühlten sich an, als wären sie mit Frottee
voll gestopft, und die Beine schienen ihm nur widerwillig zu ge-
horchen.
Der Nachrichtenturm musste doch irgendetwas Nützliches enthalten.
Selbst die Säcke und Fässer waren verschwunden. Es gab viele
Bauern in den Bergen, und der Winter kam, und wer auch immer
hier stationiert gewesen war, brauchte keinen Proviant mehr.
Selbst Mumm hätte in diesem Zusammenhang nicht von Diebstahl
gesprochen.
Er kletterte in den ersten Stock. Die sparsamen, vorsorglichen
Waldbewohner waren auch hier gewesen. Aber sie hatten weder
die Blutflecken vom Boden entfernt, noch Inigos kleinen runden
Hut mitgenommen, der erstaunlicherweise in der Holzwand fest-
steckte.
Mumm zog ihn heraus und bemerkte eine rasiermesserscharfe
Klinge am dünnen Filzrand.
Der Hut eines Assassinen, dachte er. Und dann: Nein, nicht der eines Assassinen. Er erinnerte sich an die Straßenkämpfe, die er als Kind gesehen hatte, ausgetragen von Männern, die viel tranken
und selbst einen Kampf mit bloßen Fäusten für vornehm hielten.
Einige von ihnen nähten Klingen in ihre Hutkrempe, um nicht
völlig hilflos zu sein, wenn es heiß herging. Dies war der Hut eines Mannes, der versuchte, sich unter schwierigen Umständen einen
Vorteil zu verschaffen.
Hier hatte es nicht funktioniert.
Mumm ließ den Hut fallen, und sein Blick glitt zu der Kiste mit
den Mörsern. Sie war wie alles andere geplündert worden, aber die
Rohre lagen auf dem Boden verstreut. Allein die Götter wussten,
wofür die menschlichen Schakale sie gehalten hatten.
Er legte sie in die Kiste zurück. Inigo hatte sie richtig beurteilt.
Eine so ungenaue Waffe, dass man mit ihr nicht einmal einen
Schuppen vom Innern des Schuppens aus treffen konnte, taugte als Waffe überhaupt nichts. Doch es lagen auch andere Dinge herum.
Manche Gegenstände erinnerten an jene Männer, die hier ein ein-
faches, entbehrungsreiches Leben geführt hatten. Bilder an der
Wand. Ein Tagebuch, eine Pfeife, Rasierzeug. Schachteln waren
auf dem Boden ausgeschüttet worden…
»Wir sollten den Weg fortsetzen, Herr«, erklang Karottes Stimme
an der Leiter.
Die Nachrichtenübermittler lebten nicht mehr. Sie hatten laufen
müssen, durch Kälte und Dunkelheit, verfolgt von Ungeheuern.
Und anschließend waren irgendwelche Bauern, die nicht einmal
versucht hatten, ihnen zu helfen, hierher gekommen und hatten ihre Sachen genommen.
Verdammt! Mumm knurrte, verstaute al es in einer Kiste und zog
sie zur Leiter.
»Wir bringen das hier zur Botschaft«, sagte er. »Ich möchte den
Plünderern nichts übrig lassen. Denk nicht einmal daran, mir zu
widersprechen.«
»Käme mir nie in den Sinn, Herr. Nicht einmal im Traum.«
Mumm zögerte. »Karotte? Der Wolf und Angua…« Er zögerte.
Lieber Himmel, wie brachte man einen solchen Satz zu Ende?
»Sie sind alte Freunde, Herr.«
»Sind sie das?«
Karottes Gesicht enthielt nur die für ihn typische völ ig offene
Ehrlichkeit.
»Oh… wir… dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Mumm.
Eine Minute später waren sie wieder unterwegs. Angua lief als
Wolf weit vor dem Schlitten, zusammen mit Gavin. Gaspode hatte
sich unter den Decken zusammengerol t.
Und wieder findet ein Wettlauf mit der Sonne statt, dachte
Mumm. Der Himmel weiß, warum. Ich befinde mich in der Ge-
sel schaft eines Werwolfs und eines Wolfs, der noch schlimmer
aussieht, und ich sitze auf einem Schlitten, der von Wölfen gezo-
gen wird und den ich nicht steuern kann. Versuch mal, das im Handbuch nachzuschlagen.
Er döste und beobachtete aus halb geöffneten Augen, wie die
Sonne zwischen den Bäumen flackerte.
Wie konnte man die Steinsemmel aus ihrer Höhle stehlen?
Er hatte mehrere Möglichkeiten erwähnt und damit keineswegs
übertrieben, aber al e waren riskant. Jede einzelne von ihnen hing
zu sehr von Glück und unaufmerksamen Wächtern ab. Aber dies
fühlte sich nicht nach einem Verbrechen an, bei dem Glück eine
Rolle spielte. Alles hatte klappen müssen.
Die Semmel war nicht wichtig. Es kam nur darauf an, dass sich
unter den Zwergen Chaos ausbreitete: kein König, gewaltsame
Auseinandersetzungen, Kämpfe im Dunkeln. Und dann blieb es
dunkel in Überwald. Und es schien wichtig zu sein, dass der König
die Schuld bekam. Immerhin war er es, der die Steinsemmel verlo-
ren hatte.
Worin
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