Der fünfte Mörder
einen Schlüssel?«, fragte ich. »Gibt es hier einen Hausmeister?«
Drei Minuten später war die Wohnung offen, und nun war klar, wo sich die Quelle des durchdringenden Gestanks befand.
Der Mörder hatte einen Trick benutzt, den ich aus einem alten Film mit Alain Delon kannte: Man läutet an der Tür, und in dem Moment, wenn der Bewohner durch den Spion sieht, schieÃt man hindurch. Eine im wahrsten Sinn des Wortes todsichere Sache.
Vladimir Orlov â der Rotblonde, der die Kamera zertreten hatte â musste schon seit einigen Tagen tot sein. Seine Leiche lag im Flur unmittelbar hinter der Tür. Ein schmales rabenschwarzes Kätzchen saà neben ihm und maunzte uns vorwurfsvoll an. Der Tote trug einen goldfarbenen Seidenpyjama. Die Kugel war durch sein rechtes Auge gedrungen und an der Oberseite des Schädels wieder ausgetreten, wo sie ein handtellergroÃes Loch gerissen hatte. Ãberall an den Wänden klebten Blut und Gehirnmasse.
»Hätten wir uns ja nicht so sputen müssen.« Balke atmete tief ein, stieg beherzt über die Leiche, durchquerte den dahinter liegenden Raum und riss alle erreichbaren Fenster auf.
»Haben Sie in den vergangenen Tagen hier einen Knall gehört?«, fragte ich die inzwischen gipsbleiche Nachbarin, deren feuchter Mund vor Entsetzen offen stand.
»Hier hören Sie alles Mögliche, wenn der Tag lang ist«, presste sie hervor, wandte sich ab und verschwand hinter einer Tür links neben dem Eingang ihrer Wohnung.
Schon bei der ersten flüchtigen Durchsuchung von Orlovs Räumen fanden wir einen groÃkalibrigen Revolver unter der Couch, eine verchromte Smith & Wesson, die ihm vermutlich aus der Hand geflogen war, als der Schuss ihn traf. Sie war entsichert, aber zum Abdrücken hatte er keine Gelegenheit mehr gehabt.
»Dieser Schivkov ist verdammt hart drauf.« Balke empfand kein Mitgefühl mit dem Toten. »Einfach so durch die Tür â¦Â«
Aus der gegenüberliegenden Wohnung drangen würgende Geräusche. Joan Baez war verstummt.
Die Fünfzimmerwohnung des Toten war mit kostspieliger Geschmacklosigkeit eingerichtet und erstaunlich aufgeräumt. Es war nicht zu übersehen, dass Orlov hier nicht allein gelebt hatte. Nur in der ultramodernen Küche herrschte das Chaos. Dort fanden wir ein Gewirr aus Pizzakartons und leeren Flaschen, die entweder französischen Cognac vom Feinsten oder georgischen Rotwein enthalten hatten. Die Pizzakartons stammten alle vom selben Lokal in der Mannheimer Innenstadt, dem Da Rosario. Einige davon lagen aufgeklappt am Boden verstreut, vielleicht von der kleinen Katze heruntergezerrt und ausgeplündert bei der verzweifelten Suche nach Essbarem.
Balke schluckte und warf einen Blick über die Schulter auf die Leiche im Flur. Ich wusste, was er dachte: Wäre die Katze ein wenig älter gewesen, dann hätte sie ihr Futter nicht in Pizzakartons gesucht. Katzen kennen keine Liebe über den Tod hinaus. An manchen der in den italienischen Farben bedruckten Schachteln krabbelten die ersten Maden herum.
In der folgenden Viertelstunde kamen zwei Streifenwagen und kurz darauf die Kollegen vom Mannheimer Kriminaldauerdienst. Wir schüttelten Hände, ich berichtete, was hier vermutlich vorgefallen war, erklärte, soweit nötig, die Hintergründe.
»Vor allem brauchen wir sein Handy«, erklärte ich den Kollegen, »auÃerdem alles, wo Adressen drinstehen könnten oder Telefonnummern.«
»Sollt ihr haben«, erwiderte der gemütliche Leiter der Mannheimer Gruppe, die drei Männer und drei Frauen umfasste. »Schön, dass es auch mal einen von den bösen Buben erwischt.« Er hatte sich mit dem Namen Löffler vorgestellt.
Eine der Kolleginnen ging in die Küche, um für das inzwischen völlig verängstigte Kätzchen etwas zu fressen zu suchen.
»Sie kennen den Mann?«, fragte ich.
»Kennen wäre zu viel gesagt.« Löffler hob die Achseln. »Zwei, drei Mal hatâs Schlägereien gegeben, wo er mitgemischt hat. Früher auch mal Verdacht auf Totschlag. Ich bin heute noch überzeugt, dass er es gewesen ist. Er ist dann aber doch freigesprochen worden. Angeblich, weil die Beweiskette nicht lückenlos war, und gestanden hat er natürlich nichts. In letzter Zeit ist eigentlich nichts mehr gewesen. Heute haltenâs die Russen wie die Italiener: Dort, wo sie wohnen, sind sie brav wie die
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