Der fünfte Mörder
Lämmchen. Wenn die heute einen Killer brauchen, dann fliegen sie den aus dem Ausland ein, und zwei Stunden später ist er schon wieder fort.«
Mit dem weiÃen iPhone, das wir auf einem Nachttisch neben dem mit bordeauxrotem Satin bezogenen Wasserbett fanden, landeten wir einen Volltreffer. Es war eingeschaltet, der Akku allerdings so gut wie leer. Balke suchte und fand in aller Hast ein Ladegerät und hängte es an die Steckdose. AnschlieÃend ging er, auf dem glucksenden Bett sitzend, daran, Orlovs Telefonbuch zu durchstöbern.
»Die letzte Nummer, die er gewählt hat«, sagte er nach wenigen Sekunden, »ist die vom Da Rosario. Das war vergangenen Freitag, abends um zwanzig Uhr dreiundvierzig. Vor fünf Tagen.«
Damit kannten wir vermutlich den ungefähren Todeszeitpunkt Orlovs. Und möglicherweise auch den Trick, mit dem die Bulgaren ihn an die Tür gelockt hatten. Orlov dürfte zu diesem Zeitpunkt schon gewusst haben, dass zwei seiner Kumpane und Voronin tot waren, und entsprechend vorsichtig gewesen sein.
Was ich angesichts der Aufgeräumtheit der Wohnung schon vermutet hatte, wurde zur Gewissheit, als die Mannheimer begannen, die Schränke zu durchsuchen.
»Hier wohnt noch eine Frau«, erklärte mir eine drahtige Kollegin mit langem, schwarzem Haar. »So wieâs in der Küche aussieht, ist sie aber schon eine Weile nicht mehr hier gewesen.«
Im Wohnzimmer ertönte Gelächter. Die Kollegen hatten in einer Ritze des olivgrünen Designersofas einen schwarzen Tangaslip entdeckt.
Vladimir Orlov hatte zu Lebzeiten eine unüberschaubare Menge Menschen gekannt, die überwiegend weiblichen Geschlechts waren. Bei den meisten Nummern fanden sich nur Kürzel wie IMI oder SB , sodass Balke viel zu telefonieren hatte an diesem Nachmittag. Die Namen, die im Klartext notiert waren, klangen bis auf wenige Ausnahmen russisch. Ein Adressbuch auf Papier oder Ãhnliches schien er nicht besessen zu haben.
Schivkov war immer noch auf freiem FuÃ, hatte mir Runkel bei meiner Rückkehr vom Tatort zerknirscht eröffnet. Die Durchsuchung des Waldstücks südöstlich von Lampertheim hatte alles Mögliche zutage gebracht, aber nicht den alten Bulgaren.
»Der hat ein Talent, sich unsichtbar zu machen«, tröstete ich meinen frustrierten Untergebenen. »Aber früher oder später werden wir ihn kriegen, verlassen Sie sich darauf.«
Kurz nachdem wir Mannheim hinter uns gelassen hatten, war auch die Frau aufgetaucht, die mit Orlov die Wohnung geteilt hatte. Löffler, der Leiter der Tatortgruppe, hatte mich angerufen, und im Hintergrund hatte ich das fremdsprachige Geschrei und Gezeter der â nach seinen halblauten Worten â äuÃerst attraktiven jungen Dame gehört. Irgendwelche Aussagen zur Sache konnte sie nicht machen, da sie für drei Wochen in ihrer Heimat in Marokko gewesen war und eben erst vom Flughafen kam.
Ich selbst hatte in diesen Stunden das Gefühl, mitten im ruhigen Auge eines Orkans zu sitzen. Selbst im Vorzimmer war es still, denn Sönnchen hatte sich endlich zum Zahnarztbesuch durchgerungen. Auf meinem Schreibtisch lagen die Porträts der fünf Mörder nebeneinander aufgereiht. Inzwischen trugen nur noch zwei von ihnen kein Kreuz an der rechten oberen Ecke.
Zwei Mitglieder des Killertrupps waren möglicherweise noch am Leben, und Balkes Aufgabe war es, sie zu finden, bevor Schivkov es tat. Zur Unterstützung hatte ich Balke zwei junge Kollegen und Rolf Runkel zugeteilt. Der war froh gewesen über die neue Aufgabe, vermutlich, weil er das Gefühl hatte, einiges wiedergutmachen zu müssen.
Unsere erste Vermutung war inzwischen bestätigt: Die Bulgaren hatten offenbar von Orlovs Vorliebe für die Pizzen des Da Rosario gewusst. Den Boten zu identifizieren, der dem Russen am Freitagabend sein Essen hätte bringen sollen, war nicht weiter schwierig gewesen, da das Lokal nur zwei Pizzalieferanten beschäftigte. Der Student, mit dem ich persönlich telefoniert hatte, war vor Schuldbewusstsein übergequollen und nervtötend redselig gewesen. Schivkov hatte ihn an der Haustür abgefangen und ihm weitschweifig erzählt, er wolle einen alten, lange nicht gesehenen Freund überraschen. Als Belohnung hatte er ihm zwanzig Euro versprochen. Daraufhin hatte der Bote Schivkov sein alarmrotes Basecap ausgehändigt sowie den Pizzakarton. Nur wenige Minuten später war der
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