Der fünfte Mörder
ausgeruht. Er hatte keine Kinder, der Glückliche.
»News aus Sofia!«, verkündete er und wedelte mit einigen losen Papieren. »Die Leute in der Botschaft sind seit gestern Abend in Kontakt mit den bulgarischen Kollegen.«
Wir betraten mein Büro, ich legte meine Tüte auf den Schreibtisch und hängte mein Jackett auf. Balke setzte sich und breitete seine Unterlagen aus.
»Sie haben da unten eine fette Akte über unseren Anton Schivkov«, begann er, nachdem ich ebenfalls Platz genommen hatte.
»Und wie ist er nun zu seinem Reichtum gekommen?«
Balke grinste mich an. »Wie oft wollen Sie raten?«
»Ich tippe auf Mafia.«
»Der Kandidat kriegt hundert Punkte.« Balkes Grinsen wurde noch breiter. »Ich habe ein bisschen im Internet gestöbert. Wenn man glauben darf, was man da liest, dann gehört halb Bulgarien der Mafia. Das scheint da fast noch schlimmer zu sein als in Süditalien. Die Polizei ist machtlos und zur Hälfte wohl auch korrupt. Und wenn sie doch mal einen Clan zerschlagen â meistens sind das Sippenverbände, jeder ist irgendwie mit jedem verwandt, und von auÃen kommt man da unmöglich rein. Wenn sie also wirklich mal einen Clan zerschlagen, dann veranstaltet die Konkurrenz ein Besäufnis mit groÃem Feuerwerk und übernimmt die Geschäfte.«
»Und so was ist nun also in der EU .«
»Italien ist bekanntlich auch in der EU .« Balke blätterte in einem mehrseitigen Fax. »In letzter Zeit kriegen sie aber mächtig Druck aus Brüssel, und der Wind scheint sich allmählich zu drehen. Ah, jetzt hab ichâs.« Er sah auf. »Diese mafiösen Strukturen sind jahrhundertealt. Zu Ostblockzeiten hat man nichts davon gehört, existiert haben sie aber trotzdem. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind sie wieder dick im Geschäft.«
»Und Schivkov?«, fragte ich ungeduldig.
»Der ist Chef eines Clans gewesen, der in den Bergen im Westen des Landes sitzt. Reich geworden ist er durch Waffenschmuggel nach Serbien während des Kosovokriegs. Zurzeit gibt es zwar immer noch Schmuggel, der ist aber natürlich nicht mehr so lukrativ. Deshalb haben sie sich auf Schutzgelderpressung verlegt und wohl auch ein bisschen Prostitution. Mehr weià ich bisher nicht. Auf dem Balkan gilt die Omertà genauso wie in Sizilien. So viel kann man aber sagen: Schivkov und sein Familienclan sind sehr schnell zu sehr viel Geld gekommen. Dann hat er angefangen, der Konkurrenz das Leben schwer zu machen. Reiche Leute wollen ja immer noch reicher werden. Es hat SchieÃereien gegeben, später regelrechte Hinrichtungen. Vor drei Jahren muss die ganze Sache dann irgendwie aus dem Ruder gelaufen sein, und ein paar Monate später ist Schivkov hier bei uns aufgetaucht. Vermute, er ist an einen Konkurrenten geraten, der eine Nummer zu groà für ihn war.«
Ich nahm einen Kuli in die Hand und zwirbelte ihn herum.
»Und hier kommt er ausgerechnet den Russen in die Quere.«
»Was, wenn gar nicht die Russen dahinterstecken?«, überlegte Balke und lehnte sich zurück. »Was, wenn seine alten Freunde aus Bulgarien ihn aufgestöbert haben?«
Als ich allein war, ging ich ins Vorzimmer, um mir von unserem Kaffeecomputer einen Cappuccino zubereiten zu lassen. Warum ging ich nicht nach Hause?, fragte ich mich bei meinem kargen Bürofrühstück. Was wollte ich hier, wo alles problemlos ohne mich funktionierte? Drückte ich mich etwa vor meinen Vaterpflichten, zu denen auch gehörte, hin und wieder hart durchzugreifen? An Tagen wie diesen hätte ich lieber Söhne gehabt. Die anzuschreien wäre mir vermutlich leichter gefallen.
Als der Kaffee getrunken und das Croissant vertilgt war, begann ich, Theresa eine Guten-Morgen- SMS zu schreiben. Ich lobte ihr Buch, fragte sie, wie sie geschlafen hatte. Dann wurden meine Finger langsamer. Beim obligatorischen »Ich liebe dich« kam ich ins Stocken.
Zu meiner Erleichterung summte das Telefon.
Bei polizeilichen Ermittlungen ist es wie überall im Leben: Mal hat man Glück, mal hat man Pech. An diesem sonnigen ersten Mai gehörte ich offenbar zu den Glückspilzen.
»Es geht um diese Frau«, sagte eine heisere Männerstimme. »Die Blonde aus den Nachrichten.«
Klara Vangelis hatte noch in der vergangenen Nacht das Phantombild der weiÃblonden Frau sowie die Beschreibung veröffentlichen lassen, hatte ich von Balke
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