Der fünfte Mörder
informierte Liebekind und die Oberstaatsanwältin im Telegrammstil über die neue, völlig veränderte Lage. Dann nahmen wir nebeneinander auf dem Podium Platz. Es dauerte noch einige Minuten, bis im überfüllten Raum Ruhe einkehrte, sodass mein Atem sich normalisieren konnte, bis es mit einem Hüsteln von Frau Doktor SteinbeiÃer losging.
Fernsehkameras beäugten mich, Blitzlichter blitzten, etwa einhundert Augenpaare musterten mich sensationslüstern. Die Staatsanwältin sprach einige unverbindliche Worte, dann war ich an der Reihe.
Schon nach meinen ersten Sätzen war es totenstill im Raum. Die Fotografen vergaÃen sogar zu knipsen. Meine Ansprache dauerte keine fünf Minuten, und noch niemals zuvor hatte ich vor so aufmerksamem Publikum gesprochen.
»Wie viel ist geraubt worden?«, wollte eine ältere Journalistin in der dritten Reihe wissen, vor deren üppigem Busen eine Brille an einem Goldkettchen hing.
»Nach unserem jetzigen Erkenntnisstand, an Bargeld etwas über achtzigtausend Euro. Was in den KundenschlieÃfächern war, können wir derzeit noch nicht sagen.«
»Wie viele SchlieÃfächer waren das?«
»Geöffnet wurden etwa zwanzig. Einige davon sind komplett leer. Bei anderen haben die Täter den Inhalt anscheinend nicht für wertvoll genug befunden. Wir wissen noch nicht, ob sie nur ausgesuchte Stücke haben mitgehen lassen oder vielleicht überhaupt nur Bargeld. Das alles wird derzeit in Zusammenarbeit mit der Bank geklärt.«
»Und jetzt?«, lautete die nächste Frage aus der Menge. »Was machen Sie als Nächstes?«
»Jetzt fangen wir wohl oder übel wieder ganz von vorn an«, erwiderte ich wahrheitsgemäÃ.
Meine Zuhörer wussten offensichtlich nicht recht, ob sie von der neuen Entwicklung begeistert oder enttäuscht sein sollten. Einerseits war ihnen das Aufregerthema »Mafia in der Kurpfalz« abhanden gekommen. Andererseits hatte man es plötzlich mit einem Bankraub zu tun, dessen Drehbuch aus Hollywood hätte stammen können.
Als ich mich nach dem Ende der Veranstaltung um mein krankes Auto kümmern wollte, war es verschwunden. Man parkt in Heidelberg nicht ungestraft an einer Bushaltestelle. Unsere Polizei ist auf Draht. Fluchend zückte ich mein Handy. Sönnchen versprach, sich meines privaten Problems anzunehmen, und wollte hören, wie die Pressekonferenz gelaufen war.
Nach dem Essen trat die frisch gegründete Sonderkommission »Tunnel« zum ersten Mal zusammen. Bisher hatten wir nichts â abgesehen von den paar Dingen, die die Täter zurückgelassen hatten, und einer Menge Theorien.
»Das Holz«, grübelte Balke. »Es müsste sich doch rausfinden lassen, wo das Holz herkommt.«
Das war immerhin ein Ansatz.
Er tippte eine Notiz in sein neues Smartphone, auf dem man, so hatte er mir stolz erzählt, sogar Filme ansehen konnte. Mir wurde bewusst, dass die Handys in den letzten Jahren nicht mehr kleiner, sondern wieder gröÃer wurden. Die Weisheit, Handys seien das Einzige, wovon Männer nicht das gröÃte haben mussten, schien nicht mehr zu gelten.
»Dann die Schubkarre«, fuhr Balke fort. »Da ist sogar der Preisaufkleber vom Baumarkt noch dran. Und der SchweiÃbrenner. Der sieht allerdings aus, als wäre er gebraucht gekauft.«
Vangelis ergriff das Wort: »Die Nachbarschaft habe ich am Vormittag schon mal durchklingeln lassen. Aber es war kaum jemand zu Hause. Immerhin haben wir eine alte Dame angetroffen, die im Nebenhaus wohnt und den blauen Pritschenwagen ein paar Mal gesehen haben will. Sie spricht von zwei oder drei Männern in blauen Overalls, die äuÃerst fleiÃig gewesen seien. Und natürlich hat sie sich nichts dabei gedacht. Jeder wusste ja, dass das Haus demnächst renoviert wird.«
»Kann sie etwas über den Namen der angeblichen Firma sagen?«
Vangelis zuckte die Achseln. »Müller. Oder Meier. Aus Mannheim, vielleicht auch nicht. Die Alte ist ⦠nun ja, alt eben.«
»Die meisten Nachbarn haben wir noch gar nicht erreicht«, ergänzte Evalina Krauss. Sie war heute überraschend wieder unter uns, obwohl sie meines Wissens noch bis Ende der Woche Urlaub gehabt hätte. »Da wohnen hauptsächlich berufstätige Singles und kinderlose Paare. Tagsüber ist da kaum wer daheim.« Nach ihrer grimmigen Miene zu schlieÃen, hatte sie keine Lust mehr
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