Der fünfte Mörder
gehabt, noch länger zu Hause herumzusitzen, während ihr Liebster arbeiten musste.
Das ganze Viertel war im Umbruch, erfuhr ich. Alte soziale Strukturen waren zerstört, viele Bewohner verstorben oder in alle Winde zerstreut, neue Netzwerke noch nicht entstanden. Die wenigsten kannten ihre Nachbarn. Und viele wollten sie vielleicht auch gar nicht kennen.
»Wie siehtâs an der anderen Front aus?«, fragte ich in die Runde. »Gibt es Neuigkeiten von den Bulgaren? Von den Russen? Was ist mit unserer Wasserleiche?«
»Nichts.« Vangelis schüttelte resigniert den Kopf. »Wegen der Russen hat vorhin übrigens die Staatsanwaltschaft angerufen. Wir sollen die Telefonüberwachung mit sofortiger Wirkung einstellen. Ich habe das bereits veranlasst. Die Wasserleiche ist immer noch nicht identifiziert. Die Bulgaren bleiben in Deckung.«
»Und der Brandanschlag auf das Bella Napoli?« Seufzend lehnte ich mich zurück. »Das ergibt doch alles keinen Sinn.«
»Ziemliche ScheiÃe, was?«, brachte Balke die Sache auf den Punkt. »Die Bankräuber sind mit ihrer fetten Beute längst über alle Berge, während wir nach zwei bulgarischen Kleinzuhältern fahnden, die überhaupt nicht wissen, wie ihnen geschieht.«
»Falls die Russen die beiden nicht längst zu BÅuf Stroganoff verarbeitet haben«, meinte Vangelis gut gelaunt.
»Versuchen wir ein erstes Täterprofil«, schlug ich vor, da mir nichts Besseres einfiel. »Was sind das für Leute, die diesen Bankraub durchgezogen haben? Wer kommt für so was in Frage?«
»Hochprofessionelle«, fiel Balke als Erstes ein.
Oberkommissarin Krauss hatte ihren Mini-Laptop vor sich stehen und drückte mit finsterem Blick und spitzem Finger eine Taste. Der Beamer, der bisher an der Decke vor sich hin gesummt hatte, wurde hell, an der Wand erschien eine leere weiÃe Fläche.
»Es müssen mehrere Spezialisten dabei gewesen sein«, fuhr Balke fort, während seine Lebensabschnittsgefährtin tippte. »Erstens brauchten sie wen, der was von Tunnelbau versteht. Das lernt man ja nicht auf der Volksschule. Zweitens wen, der sich mit Funkkram auskennt, und drittens jemanden, der Erfahrung mit Sprengstoff hat. Die Wand musste durchbrochen werden, aber auf der anderen Seite sollte natürlich nicht alles in Schutt und Asche gelegt werden. Da muss einer schon verdammt viel Ahnung haben, um das so hinzukriegen.«
»AuÃerdem haben sie Baupläne gebraucht. Sie mussten wissen, wie dick die Wand ist«, überlegte Vangelis. »Und es muss einen Finanzier geben. Die Vorbereitungen haben nicht nur gedauert, das hat auch eine Stange Geld gekostet.«
»Weitere Fragen, die wir klären müssen«, sagte ich.
Evalina Krauss sah mich erwartungsvoll an, die ein wenig zu kurz geratenen Finger entspannt auf der Tastatur.
»Woher hatten die Täter ihre Informationen über die Bank?«, fuhr ich fort. »Woher wussten sie, wo der Tresorraum liegt, wie dick der Beton ist? War mehr Geld als üblich im Tresor? Gibt es möglicherweise jemanden in der Bank, der ihnen zuarbeitet? Hat da jemand Schulden? Kostspielige Hobbys?«
Die letzten Fragen hatte Klara Vangelis bereits am Vormittag dem Filialleiter gestellt.
»Was das Bargeld betrifft: nein«, sagte sie. »Sie haben immer zwischen fünfzig- und hunderttausend Euro im Tresor, hat mir Herr Falk verraten. Der weitaus gröÃere Schaden dürfte den Inhabern der SchlieÃfächer entstanden sein. Drei SchlieÃfächer sind vollkommen leer. Beim Rest wissen wir im Moment noch nicht, ob überhaupt etwas fehlt, und wenn ja, wie viel. An einen Informanten in der Bank glaubt Herr Falk nicht. Er legt für jeden seiner vier Mitarbeiter die Hand ins Feuer.«
»Man hat schon Pferde kotzen sehen«, warf Balke ein. »Wie siehtâs mit ihm selbst aus? Meistens ist ja der Boss der Böse.«
»Dazu kann ich noch nichts sagen«, erwiderte Vangelis, ohne eine Miene zu verziehen. »Aber natürlich habe ich den Mann auf der Liste.«
»Was tut man eigentlich in so ein SchlieÃfach?«, wollte Evalina Krauss wissen. Ihre Miene schien sich ein wenig aufgehellt zu haben.
Balke lachte böse. »Schwarzgeld natürlich. Sachen, von denen die Steuerfahndung nichts wissen darf oder die man noch nicht ins Ausland schaffen konnte. Schmuck, Aktien, Tafelsilber.«
»Wichtige persönliche
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