Der Fürst der Dunkelheit

die Bullen ebenfalls darin verwickelt.
    Wenn sie nicht am Himmel die Flügel gesehen hätte, die Schatten, die plötzlich Gestalt annahmen und sie verfolgten, mit gefletschten Reißzähnen …
    Susan sah wieder nach vorn zum Altar. “Das Böse wird es immer geben. Und diejenigen, die es bekämpfen, die wird es auch immer geben. Und ebenfalls wird es immer Menschen wie mich geben, die das Böse sehen und spüren können, weil sie davon berührt werden, aber die nicht die Macht haben, es zu überwinden.” Sie sah Lauren weiter an, obwohl sie Selbstgespräche zu führen schien. “Das Böse ist schon zuvor über uns gekommen, und es wird uns auch in Zukunft wieder ereilen. So ist der Lauf der Welt.” Ihre Augen wurden klar. “Aber mich … mich haben Sie ein für alle Mal ruiniert.”
    “Sie sind doch diejenige, die in eine Kristallkugel geschaut hat!”
    “Und durch diese Kugel hat er Sie zuerst gesehen.”
    “Aber zu dem Zeitpunkt ist er doch längst hier unter uns gewesen”, sagte Lauren streitlustig.
    “Das mag stimmen, aber jetzt wird er hier auch bleiben. Bis er Sie in seinen Fängen hat.”
    “Das ist doch lächerlich”, sagte Lauren barsch.
    “Ist es das? Ist es lächerlich, wenn eine Mutter mitten in der Nacht aufwacht und weiß, dass ihr Kind gerade gestorben ist? Ist es lächerlich, wenn ein Mann plötzlich weiß, dass seine Frau sich in Gefahr befindet, wenn ein Zwilling weiß, dass der andere Zwilling dringend Hilfe braucht? Gerade jetzt brauchen
Sie
Hilfe.”
    “Es gibt Menschen, die mir helfen”, flüsterte Lauren.
    Susan ignorierte sie und redete weiter. “Vergessen Sie alles, was Sie für die Wirklichkeit halten oder was Sie als normal ansehen. Vergessen Sie das alles – wenn Sie überleben wollen. Ich bin nur deshalb noch am Leben, weil ich genau weiß: Auch was wir nicht sehen kann existieren, auch was wir uns nicht eingestehen wollen kann die Wahrheit sein. Wenn Sie überleben wollen, machen Sie sich das klar und Ihren Freundinnen auch.”
    “Ich bin nicht Ihr Feind”, protestierte Lauren. “Sie haben mich da reingezogen. Sie und Ihre Kristallkugel.”
    “Er hätte Sie sowieso gefunden”, sagte Susan. “Die Kristallkugel hat Ihnen nur verraten, dass er das bereits getan hatte. Sie hätten fliehen müssen, als Sie noch die Möglichkeit dazu hatten.” Sie zuckte die Achseln. “Vielleicht wäre er Ihnen gefolgt, aber mir wäre die Gefahr erspart geblieben.”
    Lauren fühlte sich seltsamerweise, als wäre ihr ins Gesicht geschlagen worden. Diese Frau redete so eiskalt, mit derart geringschätziger Herablassung. Aber dann wandte sich Susan ihr noch einmal zu. “Es gibt Leute, die Ihnen helfen, sagen Sie? Nehmen Sie diese Hilfe an und seien Sie froh darüber. Allein können Sie es niemals schaffen. Eine ganze Armee könnte Ihnen nicht helfen, solange diese Armee nichts sieht und nichts begreift. Und Ihre Freundinnen? Halten Sie sie versteckt, wenn Sie können.” Sie stand auf, eindeutig begierig, von hier wegzukommen. Sie holte einen zusammengefalteten Zettel aus einer Tasche ihres langen Rocks und warf ihn Lauren zu. “Ich weiß auch nicht alles, aber ich gehe den Anhaltspunkten nach, die mir über den Weg laufen. Lesen Sie das. Es ist die Kopie eines Zeitungsartikels, der Ihnen helfen könnte. Aber lesen Sie es nicht jetzt gleich. Verschwinden Sie von hier. Gehen Sie zurück zu denen, die Ihnen helfen wollen. Falls andere Menschen Ihnen überhaupt etwas bedeuten, halten Sie sich fern von mir. Und wenn Sie abreisen, baden Sie mit dem
ganzen
Körper in Weihwasser.”
    Susan eilte den Mittelgang hinauf.
    Lauren, noch verwirrter als zuvor, erhob sich. “Susan, warten Sie!”
    Aber Susan war schon verschwunden.
    Auch Lauren trat aus der Kirchenbank. Im Mittelgang kniete sie nieder und bekreuzigte sich. Sie vergaß auch nicht, sich ausgiebig mit Weihwasser zu benetzen, bevor sie wieder hinaus auf die Gasse trat.
    Es war still.
    Dunkel.
    Überall Schatten.
    Sie sagte sich, dass ganz sicher Leute in der Nähe sein mussten. Für die Verhältnisse in New Orleans war es noch früh. Bis tief in die Nacht würden Kutschen durch die Straßen rattern und Musiker auf den Plätzen spielen.
    Aber die enge Gasse schien sehr alt zu sein, ummantelt von seltsam verkommener Eleganz. Eine kühle Brise wehte, die mit merkwürdig kühler Zunge etwas wisperte.
    Sie hörte etwas über sich.
    Wie ein Schwarm Vögel.
    Oder Fledermäuse.
    Sie sah auf in den dunklen Himmel.
    Früher einmal hätte sie