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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Durch das halb geschlossene Portal des Großen Ratssaals wehte mir der dumpfe Geruch von frischem Gipsverputz entgegen. Offenbar wurde der Saal für eine Freskierung vorbereitet. Ich öffnete vorsichtig einen Türflügel, konnte aber nichts erkennen, da die Holzgerüste mit Stoffbahnen verhängt waren, um die empfindlichen Putzschichten vor einem kalten Luftzug und die riesigen Entwurfskartons vor neugierigen Blicken zu schützen.
    Ein paar Stufen weiter gelangte ich in das Arbeitszimmer eines Magisters, der mein Erscheinen mit einem unwilligen Blick quittierte.
    »Buon di« , begrüßte ich ihn höflich. »Ich wünsche eine Audienz bei Piero Soderini.«
    »Ach ja?«, fragte der Beamte in einem Tonfall, als würde ihm diese Bitte jeden Tag hundert Mal vorgetragen werden. »In welcher Angelegenheit?« Sein Blick blieb missbilligend an meiner Kleidung hängen, die seit dem unfreiwilligen Sprung in den Arno gelitten hatte. Für was hielt er mich – für einen mittellosen Vagabunden? Für einen Bettler?
    »In meiner eigenen«, trotzte ich selbstbewusst seinem Desinteresse.
    »Und wer bist du?«, fragte der Beamte gelangweilt.
    »Maestro Raffaello di Giovanni Santi aus Urbino. Ich will den Gonfaloniere um einen Auftrag bitten!«, sagte ich geradeheraus.
    Der Beamte lachte amüsiert. »Die Staatskassen der Republik Florenz sind leer, Maestro Raffaello. Seit Seine Gnaden Maestro Leonardo da Vinci den Auftrag gegeben hat, den Großen Saal zu freskieren, ist die Republik bankrott. Leonardos Schlacht von Anghiari kostet Florenz weit mehr als das wirkliche Gefecht bei Anghiari gegen Francesco Sforza von Mailand. Dabei hat er noch nicht einmal zu malen begonnen …«
    »Maestro Leonardo arbeitet im Ratssaal?« Es waren seine Gerüste und Entwurfskartons gewesen, die ich im Großen Saal gesehen hatte! Die Nachricht, dass Leonardo nach Florenz zurückgekehrt war, hatte ich in Urbino vernommen. Der berühmte Maestro war einer der Gründe, weshalb ich nach Florenz gekommen war.
    »Wenn er mal arbeitet! Meist entwirft Maestro Leonardo Belagerungsmaschinen, die niemand braucht. Oder er klettert auf den Campanile, um seine Flugmaschinen fliegen zu lassen.«
    »Ich habe ein Empfehlungsschreiben der Herzogin von Urbino …«, begann ich.
    »Und Leonardo da Vinci hatte ein Empfehlungsschreiben von Cesare Borgia. Das ist Borgias Art, mit Florenz Krieg zu führen. Keine Waffen, keine Belagerung. Er ruiniert Florenz, indem er uns seinen teuersten Künstler schickt.«
    Ich setzte die Maske eines höflichen Lächelns auf. »Wann kann ich den Gonfaloniere sprechen?«
    »Morgen vielleicht. Komm morgen Nachmittag wieder!«
    Morgen. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht …
    Ich war enttäuscht. Wie anders hatte ich mir meinen triumphalen Einzug nach Florenz vorgestellt! In Urbino war ich der Hofmaler des Herzogs Guidobaldo da Montefeltro. Hier in Florenz war ich ein unbekannter Maler. Ich kannte niemanden, niemand kannte mich. Und ich war arbeitslos.
    Aber nicht hoffnungslos.
    Ich verließ die Signoria und ging zum Haus der Gilden.
    Florenz war eine Stadt des Geldes. Die Kaufleute waren ebenso in ihrer Gilde, der Arte di Calimala, organisiert wie die Wollhändler in der Arte della Lana. Und wie Richter und Notare, Färber, Seidenhändler, Geldwechsler, Ärzte und Apotheker, und die Handwerker wie Schuhmacher, Schreiner, Schmiede und Steinmetze. Jeder Mann musste einer Gilde angehören. Die Fraternità San Luca, ein Zweig der Gilde der Ärzte, Apotheker und Gewürzhändler, war keine Zunft, sondern eine Bruderschaft. Diese Vereinigung der Maler wachte über die Qualität der Farben und die Einhaltung von Verträgen zwischen Auftraggeber und Künstler. Jeder Maler, der in Florenz eine Werkstatt eröffnen oder Aufträge annehmen wollte, musste sich für die Gebühr von einem Fiorino bei der Bruderschaft einschreiben.
    Im Register las ich einige bekannte Namen: Sandro Botticelli, Pietro Perugino, Filippino Lippi, der vor einem halben Jahr verstorbene Sohn des Fra Filippo Lippi, Andrea del Sarto, mein Freund Bernardino Pinturicchio – wie ich ein Schüler von Pietro Perugino, mit dem ich vor zwei Jahren die Dombibliothek von Siena freskiert hatte. Bastiano da Sangallo, mein Mitschüler aus Peruginos Werkstatt, hatte sich vor einem Jahr eingetragen. Der Name Michelangelo Buonarroti war mit energischer Feder durchgestrichen worden. Ein handschriftlicher Vermerk am Rand des Buches wies darauf hin, dass Michelangelo

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