Der Fürst der Maler
keiner der Anwesenden ein Wort sagte.
Kardinal Farnese schüttelte unwillig den Kopf. »Was soll das heißen: adelig im Geiste? Signora, ist das Eure Interpretation von ›Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich‹?«
»Nein, Eminenz. Es bedeutet, dass der Cortegiano jede Ziererei, jede Übertriebenheit und alles Gekünstelte vermeiden muss«, erklärte Eleonora. »Er soll eine gewisse Nachlässigkeit zur Schau tragen, die die aufgewandte Mühe verbirgt, und alles, was er tut oder sagt, als ohne die geringste Kunst wie absichtlos hervorgebracht erscheinen lässt. Dort ist wahre Kunst, wo man die Kunst nicht sieht.«
»Zählt denn nicht die Freundschaft höher als die adelige Herkunft, Kardinal Farnese?«, wandte nun auch Francesco ein. »Eine wirkliche Freundschaft ohne Verrat, Neid und Intrigen ist so außerordentlich selten, dass man sie pflegen sollte wie ein zartes Pflänzchen.«
»Doch sagt nicht Machiavelli, dass es für einen Fürsten besser ist, mit niemandem vertrauten Umgang zu pflegen? Niemandem seine geheimsten Gedanken zu offenbaren?«, fragte Alessandro Farnese, der Niccolò Machiavelli anlässlich Francescos und Eleonoras Hochzeit kennen gelernt hatte. »Mit Ausnahme seines Beichtvaters?«
»Keinen Freund zu haben – das ist der größte Fehler, den ein Fürst überhaupt begehen kann«, widersprach Francesco.
Giuliano de’ Medici nickte zustimmend: »Ich jedenfalls suche mir meine Freunde sehr genau aus.«
Während der letzten Wochen hatte ich mit Giuliano einen ebenso vertrauten Umgang wie mit seinem Bruder Giovanni. Ich war der Freund, den er meinte – und er selbst der Fürst!
Francesco runzelte die Stirn.
Doch bevor er etwas sagen konnte, ergriff ich das Wort: »Wir sollten auch die Wissenschaften nicht vergessen. Alexander der Große hat nicht nur den Dichter Homer so sehr verehrt, dass er selbst während seiner Kriegszüge im Orient die Ilias unter seinem Kopfkissen liegen hatte, sondern er zählte auch den Gelehrten Aristoteles zu seinen Lehrern.«
»Welche Wissenschaften, Raffaello?«, fragte Caterina de’ Medici. »Es gibt so viele: Grammatik und Rhetorik, Dialektik und Poetik, Arithmetik und Geometrie, Astronomie und Astrologie, Musik und natürlich die Philosophie. Ist nicht auch die Alchemie eine Wissenschaft? Wir können unmöglich von unserem Cortegiano verlangen, dass er sie alle beherrscht. Und das auch noch in Italienisch und Latein! Soll er vielleicht auch noch die Ilias in der Sprache Homers deklamieren?« Caterinas Lächeln war unergründlich. Sie, die Schülerin von Angelo Poliziano, Giovanni Pico della Mirandola und Leonardo da Vinci, der größten Gelehrten unseres Jahrhunderts, beherrschte diese Wissenschaften, die Sprache Gottes …
» Dio mio! Was für ein Hofmann!«, lachte Francesco. »Wenn ich eines Tages Herzog von Urbino bin, müsste ich mich vor einem solchen Halbgott fürchten, denn er würde mich, seinen Fürsten, auf jedem Schlachtfeld besiegen. Sobald ich den Mund aufmache, müsste ich fürchten, grammatikalisch oder rhetorisch korrigiert zu werden. Sobald ich mich mit dem Herzog von Ferrara oder dem Marchese von Mantua anlege, könnte ich mich vor diplomatischen und militärischen Ratschlägen nicht retten. Wenn der Hofmann schon so perfekt ist, wie gesegnet mit Gottes Gnaden muss dann erst der Fürst sein!«
Es war ein vergnüglicher Abend, trotz des unterkühlten Verhältnisses zwischen Francesco und Giovanni und Giuliano de’ Medici. Bernardo da Bibbiena trug uns einige Verse seiner neuesten Sonette vor, Pietro Bembo spielte auf der Lira da Braccio.
Es war kurz vor Mitternacht, und die meisten von uns hatten mehr als ein Glas Montepulciano getrunken, als Francesco den Vorschlag machte, ich sollte die Anwesenden zeichnen, damit jeder sein Porträt von der Hand des Maestro Raffaello Santi mit nach Hause nehmen konnte. Ich ging auf seinen Spaß ein und zeichnete Pietro Bembo – unter großem Gelächter der Anwesenden – verkleidet als Kardinal. Giuliano de’ Medici skizzierte ich mit den Insignien eines Herzogs von Florenz, seinen Bruder Giovanni als Papst. Bernardo da Bibbiena stand seine rote Kardinalssoutane ebenso gut wie Alessandro Farnese das weiße Habit des Stellvertreters Gottes auf Erden.
»Und was ist mit mir?«, fragte Francesco. Er verzog verärgert seinen Mund, weil ich Giuliano zum Spaß die Würde eines Herzogs verliehen hatte. »Du hast mich noch nicht gezeichnet, Raffaello! Auch ich will von dir
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