Der Fürst der Maler
Spitze einer Gruppe von Condottieri und Kardinälen galoppierte Papst Julius in einer vergoldeten Rüstung den Weg herauf. Herzog Guido ritt neben ihm.
Nervös zupfte ich an der Brokatjacke und der Hose herum, die Francesco mir für diesen feierlichen Anlass geliehen hatte.
Der Papst zügelte sein Pferd und blieb mitten auf dem Weg zur Rocca, der Burg von Urbino, stehen. Er war irritiert, denn das Stadttor von Urbino war geschlossen.
Der Marchese von Mantua, der auf der anderen Seite des Papstes ritt, verzog seinen Mund zu einem gehässigen Lächeln. Die geschlossenen Stadttore konnten nur eines bedeuten: dass Julius in Urbino unerwünscht war. Und dass Guidobaldo da Montefeltro die längste Zeit Gonfaloniere des Papstes war.
Der Herzog von Urbino war irritiert. Francesco und ich hatten diese kleine Inszenierung nicht mit ihm abgesprochen.
Ich gab Francesco ein Zeichen.
Er nickte und trabte auf seine drei Onkel zu, um Seiner Heiligkeit die Schlüssel der Stadt zu überreichen. Francesco sagte sein Sprüchlein auf, das wir in der letzten Nacht verfasst hatten. Der Wind riss ihm die Worte von den Lippen: »… die Schlüssel des Himmelreiches zu übergeben …«
Auf mein Signal – ich senkte die herzogliche Standarte in den Staub zu Füßen des Papstes – öffnete sich das Stadttor von Urbino wie von Engelshand, und zwei lebensgroße Figuren aus Pappmaché, die Petrus und Paulus darstellten, schwebten über der Stadtmauer. Im letzten Sommer hatte ich Leonardos Konstruktionspläne für Schwebeballons und Fallschirme aus seinen Arbeitsheften kopiert.
Die Urbiner, die sich vor dem Stadttor aufgestellt hatten, um den Papst zu sehen, brachen in Jubelrufe aus.
Die von mir bemalten Pappfiguren machten Eindruck: Julius lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen. »Wessen Idee war denn das?«, fragte er glucksend. Der Papst deutete auf die Apostelfiguren am Himmel und die durch eine komplizierte Mechanik aus den Angeln gehobenen, über der Stadtmauer schwebenden Torflügel.
Herzog Guido hatte sich gefangen, der erste Schimmer eines zufriedenen Lächelns war auf seinem Gesicht erschienen. »Das war Maestro Raffaello Santis Idee. Er ist mein Maler, der größte Künstler, den Urbino je hervorgebracht hat«, stellte er mich stolz dem Papst vor.
Francesco Gonzaga kniff die Lippen zusammen. Seit Monaten hatten der Marchese und seine Gemahlin Isabella d’Este versucht, mich nach Mantua zu locken. Bisher hatte ich die Launen des Marchese mit den Allüren eines Künstlers pariert.
»Maestro Raffaello Santi?«, rief Julius, und ich ritt ein paar Schritte auf ihn zu.
»Euer Heiligkeit!« Ich verneigte mich im Sattel, so tief ich konnte.
Er streckte mir seine Hand mit dem Ring entgegen, den ich küsste. Julius hatte das Temperament eines Vulkans, der kurz vor dem Ausbruch steht. Trotz seiner sechzig Jahre hielt er seinen hageren Körper sehr aufrecht im Sattel, seine Rüstung schimmerte in der Sonne und blendete mich. Doch ich hielt seinem Blick stand, und das schien ihn zu amüsieren. »Wir haben von dir gehört! Und sind angemessen beeindruckt von deinem … Können «, sagte er mit einem zynischen Lächeln. Ich war sicher, dass er nicht nur meine künstlerischen Fähigkeiten meinte.
Mit seinem Schwager Guido und seinem Neffen Francesco an seiner Seite ritt der Papst an mir vorbei nach Urbino hinein.
Nach dem festlichen Abendessen in Anwesenheit des Papstes fand in den Gemächern der Herzogin wie üblich eines der höfischen Gespräche statt, die Baldassare Castiglione so liebevoll für sein Libro del Cortegiano skizzierte.
Herzog Guido, der wegen eines erneuten Gichtanfalles unter großen Schmerzen litt, hatte sich früh zu Bett gelegt. Sein Schwager, Papst Julius, begab sich in das Schlafzimmer des Herzogs, um dort mit ihm über den bevorstehenden Feldzug gegen Bologna zu sprechen. Gian Andrea Bravo, der Vertraute des Herzogs, begleitete die beiden.
Wir anderen zogen uns zu einem Gespräch bei einem Glas Montepulciano an den Kamin im Saal der Engel zurück: Herzogin Elisabetta, Caterina de’ Medici, ihre Cousins Giuliano und Giovanni, der zusammen mit Kardinal Alessandro Farnese im Gefolge des Papstes nach Urbino gekommen war, Baldassare Castiglione, der Dichter Pietro Bembo sowie Bernardo Dovizi da Bibbiena, Francesco und seine Gemahlin Eleonora.
Wie an den Abenden zuvor drehte sich die angeregte Diskussion darum, welche Eigenschaften der ideale Hofmann haben und mit welchen Kenntnissen und
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