Der Fürst der Maler
Kardinälen die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Einigen – aber nicht allen!
Kardinal Giovanni de’ Medici hält dich für einen gottesfürchtigen jungen Mann. Du sprichst Latein und Griechisch, kennst die Werke von Platon und Aristoteles ebenso gut wie die Schriften des Thomas von Aquin. Die Thora und den Koran hältst du für ebenso wahr wie die christliche Bibel. Kardinal Alessandro Farnese nennt dich deshalb den größten Ketzer seit Giovanni Pico della Mirandola. Das ist ein Kompliment, Raffaello, denn Uns bezeichnet Kardinal Farnese schlicht als Antichrist.
Donato Bramante hat Uns vor Wochen den Floh ins Ohr gesetzt, Wir sollten dir den Auftrag für die Sixtinische Decke geben, nachdem dieser florentinische Holzkopf Michelangelo Rom so überstürzt verlassen hat. Bramante hält dich für den besten Künstler, den Italien je hervorgebracht hat. Nach ihm selbst, natürlich! Und Michelangelo nennt deinen Namen in einem Atemzug mit Leonardo da Vinci. Er spricht allerdings nicht von deinem Talent als Maler, sondern von deiner Überheblichkeit.
Hundert Facetten! Geliebt, gehasst, bewundert und gefürchtet: als Mensch ein vollendetes Kunstwerk! Wie alt bist du?«
»Ich bin dreiundzwanzig, Euer Heiligkeit.«
Immer noch kniete ich vor ihm, und er machte keine Anstalten, mich aus dieser unbequemen Haltung zu erlösen. Er spürte meinen Zorn über diese Demütigung. Wollte er so meinen Eigensinn brechen?
»Wie kommt es, dass der Sohn von Giovanni Santi sich einen solchen Ruf erwirbt?«, fragte Julius.
»Indem er aufhört, ›der Sohn von Giovanni Santi‹ zu sein und Raffaello Santi wird. Indem er seine Bestimmung erfüllt.«
»Werde der du bist«, zitierte Julius nachdenklich. »Du bist ehrgeizig, Raffaello! Wie Leonardo und Michelangelo! Aber dir fehlen Leonardos Verrücktheit und Michelangelos Unbezähmbarkeit. Pietro Perugino hat dich vor wenigen Tagen als einen Maler bezeichnet, der alles in Frage stellt. Vor allem sich selbst. Donato Bramante sagt sogar, dass du irgendwann jede Regel brechen wirst. Vor allem die der Perspektive.
Du bist du selbst. Und du willst hoch hinaus, höher als Leonardos Ornitottero dich tragen kann!« Er verzog keine Miene, als ich mich unaufgefordert aus der knienden Position erhob.
»So wie Ihr, Heiliger Vater! Seid Ihr nicht der Sohn eines ligurischen Fischers?«, konterte ich. »Wann habt Ihr aufgehört, der Sohn Eures Vaters zu sein, um Menschenfischer zu werden?«
Die Zweideutigkeit meiner Wortwahl war ihm nicht entgangen.
Giuliano della Rovere hatte sich wegen seines Theologiestudiums mit seinem Vater zerstritten. Als sein Onkel, Papst Sixtus, in der Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn vermitteln wollte, geriet der Heilige Vater selbst in die Schusslinie seines temperamentvollen Neffen. Und auch das Credo in Deum Patrem Omnipotentem – das Glaubensbekenntnis an Gott, den allmächtigen Vater – hatte im Vatikan lange niemand aus seinem Mund gehört.
»Ich war in deinem Alter …« Julius betrachtete mich nachdenklich, dann besann er sich. »Herzog Guido hat Uns erzählt, dass einer deiner Onkel vorhatte, dich als Kardinal nach Rom zu schicken.«
»Das stimmt, Euer Heiligkeit.«
»Und dass der andere wollte, dass du Condottiere wirst.«
»Auch das ist richtig, Euer Heiligkeit.«
»Du bist eigensinnig. Und du weißt genau, was du willst. Du gehst vor niemandem in die Knie. Wir sind froh, dass du weder Kardinal noch Condottiere geworden bist. Sonst müssten Wir fürchten, dass du die Kirche reformierst. Oder Italien eroberst, wie Cesare Borgia es versucht hat«, sagte er zynisch. »So beschränkst du dich darauf, die Kunst zu revolutionieren. Du solltest dein Talent nicht in Florenz oder Urbino vergeuden, Raffaello. Wir werden Rom zur größten Stadt der Welt machen. Im Augenblick ist es allerdings die größte Baustelle der Welt.«
Jeder andere Maler hätte dem Papst auf Knien gedankt, von ihm nach Rom berufen zu werden. Ich schwieg und dachte an Michelangelos Entwürfe für die Sklaven. Wollte ich mich seinem Willen unterwerfen, um meinem Ehrgeiz zu huldigen? Wollte ich mich mit Leib und Seele verkaufen, um für ihn zu malen? Ich dachte an die Sixtinische Kapelle und an die neue Kathedrale von San Pietro. Die größten Künstler waren nach Rom gegangen: Sandro Botticelli, Domenico Ghirlandaio, Luca Signorelli, Pietro Perugino. Die größten Künstler waren noch immer in Rom: Giuliano da Sangallo, Andrea Sansovino, Donato Bramante, Michelangelo – wenn
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