Der Fürst der Maler
Fähigkeiten er seinem Fürsten zu Diensten sein sollte.
Baldassare Castiglione bestand darauf, dass der Cortegiano seine körperlichen wie auch seine geistigen Kräfte bezähmen sollte, einerseits durch Reiten und Laufen, aber auch durch geistige Bildung. »Aber auch im Fechten sollte er geschickt sein. Je mehr sich der Cortegiano im Kriegshandwerk hervortut, desto größer wird sein Ruhm sein«, erläuterte Castiglione, selbst ein erfolgreicher Feldherr in mehreren Schlachten.
»Der Cortegiano soll doch kein Condottiere sein«, protestierte Francesco. »Es ist ja lobenswert, wenn er sich in der Schlacht für seinen Fürsten mit dem Lorbeer des Ruhms schmückt, aber wir wollen doch nicht, dass er an der Größe seiner Aufgabe scheitert. Er muss seinem Herzog treu ergeben sein. Um Sieg und Niederlage sollte sich der Fürst selbst kümmern. Das sagt auch der Florentiner Niccolò Machiavelli.«
»Ein Halbgott, herabgestiegen von den himmlischen Sphären«, deklamierte Giuliano de’ Medici und fasste zusammen: »Der Cortegiano soll ein schönes Gesicht und eine anmutige Gestalt besitzen, seine Glieder sollen schlank und die Muskeln gut trainiert sein. Neben Geschmeidigkeit, Kraft und Gewandtheit soll er auch noch Witz, Charme und Verstand besitzen. Und die Kunst des Krieges beherrschen. Womöglich sollte er auch noch ein geschickter Diplomat sein, wie unser Freund Bernardo da Bibbiena. Adonis, Herakles und Prometheus in einer Person! Wo kann man einen solchen Menschen finden?«
»In Urbino«, antwortete Francesco in provozierendem Tonfall.
Giuliano sah Francesco verblüfft an. »In Urbino? Hier im Palast?«
»Ja, Signor de’ Medici. Ihr werdet überrascht sein, aber dieser erstaunliche Mensch befindet sich sogar in diesem Raum«, verriet Francesco mit einem geheimnisvollen Lächeln.
»Ihr meint nicht zufällig Euch selbst, Euer Exzellenz?«, fragte Giuliano. »Ihr seid kein Cortegiano, sondern werdet eines Tages selbst Herzog von Urbino sein.« Giuliano grinste unverschämt, als zweifelte er an Francescos Fähigkeiten als Regent.
»Nicht ich, Signor de’ Medici«, sagte Francesco kalt. Er mochte Giuliano nicht. Nicht wegen seines anmaßenden Auftretens und weil er sich wie sein Vater Lorenzo Il Magnifico nannte, sondern weil er ein Medici war.
Giulianos Vater Lorenzo il Magnifico und Papst Sixtus IV ., geboren als Francesco della Rovere und Onkel des regierenden Papstes Julius, hatten sich vor Jahren wegen der Investitur von Il Magnificos Bruder Giuliano zerstritten. Die kategorische Ablehnung des della-Rovere-Papstes, einem Medici einen Kardinalshut zu verleihen, kam einer Kriegserklärung zwischen Rom und Florenz, zwischen den Familien de’ Medici und della Rovere, gleich. Es hieß sogar, dass Sixtus bei der Pazzi-Verschwörung und dem Mord an Lorenzos Bruder im Jahr 1478 die Finger im Spiel hatte. Und nun standen sich ein anderer Giuliano de’ Medici und ein anderer Francesco della Rovere gegenüber.
»Ich spreche nicht von mir, Signor de’ Medici«, fuhr Francesco fort, ohne Giuliano aus den Augen zu lassen, »sondern von Raffaello Santi. Er ist der vollendete Cortegiano. Er ist schön, läuft wie ein Grieche aus Olympia, reitet wie ein Sarazene und hat mir im Duell schon den Degen aus der Hand geschlagen. Trotzdem kann ich seine höfischen Manieren nicht anders als formvollendet bezeichnen. Selbst seine Streitgespräche mit Maestro Michelangelo – die man in Florenz den ›Kampf der Erzengel‹ nennt – entsprechen der platonischen Dialektik. Raffaello spricht neben Italienisch und Latein auch Französisch und Griechisch, und er kennt die Bibliothek des Herzogs auswendig. Von Aristoteles bis Zenon.«
»Maestro Raffaello ist nicht adelig«, protestierte Kardinal Alessandro Farnese, der die Spannung zwischen Giuliano und Francesco mit einem süffisanten Lächeln bemerkt hatte. »Der Cortegiano muss …«
Giovanni de’ Medici unterbrach ihn. »Wir Medici sind auch nicht adelig, mein lieber Alessandro. In Florenz sagt man, das Wappen der Medici sei in Wahrheit ein Firmenschild. Seit meinem Urgroßvater Cosimo de’ Medici sind wir Händler und Bankiers. Und wenn ich mich recht entsinne, waren die Farnese Raubritter aus Orvieto. – Wer hat behauptet, dass der Cortegiano adelig sein muss?« Giovanni hatte seine Hände über dem Bauch gefaltet und lächelte Alessandro wie ein unschuldiger Engel an.
»Einigen wir uns darauf, dass der Hofmann adelig im Geiste sein soll!«, schlug Eleonora vor, als
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