Der Fürst der Maler
folgte er uns in die Wohnräume im oberen Stockwerk.
Gianni und Gio’ schlichen hinter uns die Treppe hinauf.
Maestro Pietro hatte sechs Schüler: Der jüngste Garzone war neun, der älteste war vierzehn Jahre alt. Sie saßen am Eichentisch in Pietros Küche und sahen mich mit glänzenden Augen an, als ich am Tisch Platz nahm. Ich war wie sie in Ehrfurcht erstarrt, wenn in meiner Lehrzeit ein angesehener Maestro wie Lorenzo di Credi, Cosimo Rosselli oder Luca Signorelli zu Gast in Pietros Haus gewesen war. Wie berühmt ich inzwischen war, las ich an ihren Augen ab. Sie wussten, dass ich ein Schüler von Pietro gewesen war. Und sie wussten, dass ich meinen Maestro eines Tages verlassen hatte, um nach Florenz zu gehen. Ihre hemmungslose Bewunderung wärmte mich nach dem Ritt durch das verschneite Umbrien mehr als die heiße Linsensuppe, die Violetta auftischte.
Nach dem Essen lag ich träge auf dem harten Bett in Pietros Bottega und starrte an die Decke.
Sechs Jahre lang hatte ich als Garzone hier geschlafen! Es war eine schöne Zeit gewesen … eine sorglose Zeit. Pietro und ich hatten zusammen im Collegio del Cambio die Wände freskiert. Pietro und ich hatten hundert Madonnen und Engel gemalt, bis wir uns eines Tages in die Haare gerieten. Der Grund unseres Streites war so unbedeutend, dass ich mich nicht mehr daran erinnern konnte. Ich schloss die Augen und hing meinen Erinnerungen nach …
… und schreckte hoch, als Violetta neben mir unter die Decke kroch. So wie früher.
»Du bist endlich nach Hause gekommen, Raffaello!«, flüsterte sie, legte ihren Kopf an meine Schulter und schmiegte sich an mich.
»Ich bin hier nicht mehr zu Hause, Violetta. Denn ich bin hier nicht mehr willkommen«, flüsterte ich leise, um Gio’ und Gianni, die sich wenige Schritte entfernt auf dem Boden der Werkstatt zusammengerollt hatten, nicht zu wecken. Die anderen Jungen schliefen in dieser Nacht in der Küche. Den Gedanken, wo ich eigentlich zu Hause war – in Urbino oder in Florenz –, schob ich unwillig von mir wie einen Teller kalter Brotsuppe.
Sie schnaubte unwillig durch die Nase. »So ein Unsinn! In dieser Bottega bist du zu Hause. Es gab Zeiten, da hast du deinen Maestro Papa genannt.«
»Das war zum Spaß«, wandte ich ein.
»Ja, ihr beide hattet viel Spaß miteinander. Und nun macht ihr euch das Leben gegenseitig zur Hölle. Wozu?«
Ich hielt ihre Frage für unglaublich naiv und fragte ungeduldig: »Weswegen kämpft der Mensch? Um zu siegen!«
»Um wen zu besiegen?«, hauchte sie in mein Ohr. »Den anderen? Oder sich selbst?«
Ich schwieg und genoss ihre Wärme auf meiner nackten Haut.
Ich hätte ohnehin keine Antwort auf ihre Frage gehabt.
Nach dem Frühstück teilten Pietro und ich Perugia unter uns auf wie Spanien und Portugal die Neue Welt.
Pietro war vor einigen Monaten zum Prior der Malerzunft von Perugia gewählt worden und genoss sichtlich seine Vormachtstellung. Ich lächelte undurchsichtig und erhielt dafür die Kirchen San Severo, wo die Mönche seit über einem Jahr auf ihr Fresko der Trinità warteten, und San Antonio, wo die Nonnen für eine Kapelle ein Andachtsbild bestellt hatten. Dafür musste ich versprechen, Pietro alle anderen Aufträge zu überlassen, die während meines Aufenthaltes in Perugia an mich herangetragen würden.
Unser Friedensvertrag hielt nicht länger als die von Papst Alexander VI . zwischen Spanien und Portugal vermittelte Absprache.
Ich war wütend auf die Mönche von San Severo. Die Maße der zu freskierenden Wand der Kapelle, die der Prior mir in seinen Briefen mitgeteilt hatte, waren falsch. Außerdem hatte er vergessen zu erwähnen, dass in der Mitte der Wand eine zwei Ellen hohe Terrakotta-Madonna in einer Nische hockte und die gegenüberliegende Wand anstarrte. Die Madonna machte alle meine Pläne für das Fresko der Trinità zunichte. Ich zerriss meine Entwurfskartons – die Arbeit von mehreren Wochen – und fing von vorne an.
Was mich aber wirklich in Rage brachte, war die Tatsache, dass ich mit meinen Gehilfen mitten im Winter in einer unbeheizten Kapelle arbeiten sollte. Draußen tobte ein Schneesturm, und die Mönche hatten nicht ein einziges Kohlebecken für uns. Und das alles für den lächerlichen Preis von zwölf Dukaten! Albrecht Dürer hatte sich schon in Venedig darüber lustig gemacht, dass ich den Auftrag des Priors von San Severo überhaupt angenommen hatte. Die zwölf Dukaten waren ein so geringer Preis, dass das Geld kaum für die
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