Der Fürst der Maler
seinen Entwurf aus Bologna an die Dombauhütte. Und auch Antonio da Sangallo und Baccio d’Angelo nahmen daran teil.
Baccio und ich hatten einen gemeinsamen Entwurf ausgearbeitet und bei einem Schreiner die Holzteile anfertigen lassen. Anfang Juni 1507 leimten wir die Teile zusammen, um das Modell anschließend in den Farben des Marmors zu bemalen.
Baccio war schon vor dem Morgengrauen in meiner Werkstatt in San Marco erschienen. Im Schein der Kerzen hatte er allein begonnen, die gewölbten Holzteile der Kuppel auf das Oktogon des Unterbaus zu setzen. Dabei veranstaltete er mehr Lärm als alle sieben Engel der Apokalypse. Seine Flüche, die durch den stillen Kreuzgang hallten, rissen mich aus dem Schlaf.
Ein Frater war gestorben, und seine Leiche lag in seiner Zelle aufgebahrt – Leonardo und ich hatten die halbe Nacht diskutiert, ob wir es wagen sollten, unsere Studien der menschlichen Anatomie fortzusetzen. Erst kurz vor der Matutin-Messe war ich ins Bett gefallen. Auf dem Gang war ich Fra Bartolomeo begegnet, der die Zelle neben meiner bewohnte und verschlafen zum Gebet in die Kirche stolperte. Meine Nächte waren kurz: Ich ging mit Leonardo schlafen und stand mit Fra Bartolomeo zur Prim-Messe bei Sonnenaufgang auf.
Eine Weile lauschte ich verschlafen dem Gurren und Flattern der Tauben unter dem Dach des Konvents, dann erhob ich mich von meinem Bett.
Müde tappte ich von meiner Zelle zur Bottega im ehemaligen Pilgerhospiz neben dem Kreuzgang. In der Tür meiner Werkstatt blieb ich stehen und beobachtete Baccio im ersten Tageslicht, wie er einer umgefallenen Schale mit Farbe einen Tritt verpasste, die sie ans andere Ende des Saales katapultierte. Die rote Farbe war am Holzmodell heruntergelaufen.
»Guten Morgen, Baccio. Die Dombauhütte vergibt einen Preis für den schönsten Fassadenentwurf, nicht für den buntesten …«
»Geh zum Teufel, Raffaello«, fauchte er mich an.
»Mach ich, Baccio, gleich nach der Frühmesse«, versprach ich ihm. »Aber nicht, bevor du mir erklärt hast, was mit dir los ist. Die Werkstatt sieht aus, als hätte Herakles eine Spur der Verwüstung hinterlassen.« Ich deutete auf die verspritzte Farbe und das umgestürzte Holzmodell der Domkuppel.
Er setzte sich auf einen Holzschemel und barg sein Gesicht in den Händen. »Taddeo will heiraten«, platzte er heraus.
»Was will er?«, fragte ich verblüfft.
»Heiraten! Du hast richtig gehört«, rief Baccio entnervt.
»Wen? Dich?«
»Nicht mich!«, knirschte er wütend. »Wenn Taddeo mich wegen eines anderen Mannes verlassen würde, könnte ich das verstehen. Aber er sucht sich eine Frau! Und nicht nur irgendeine: ein Mädchen aus bester Familie muss es sein. Die Strozzi und Pitti sind nicht gut genug! Taddeo greift gerne nach den süßen Trauben, die ganz hoch hängen. Für den Principe ist eine della Rovere, eine d’Este oder eine Gonzaga angemessen. Taddeo braucht einen Erben für sein Imperium.«
Und ein Bündnis mit einem Fürsten, dachte ich. Niccolòs Vermutung war also richtig gewesen: Taddeo würde sich nach Cesare Borgias Tod einen neuen Mitspieler suchen in seinem Spiel um die Macht. Er war zwar nicht adelig, aber über dieses Faktum würde sein immenses Vermögen hinwegtrösten. Die Fürstenhäuser der d’Este und Gonzaga waren wegen ihrer Kriegszüge und der aufwändigen Hofhaltung in ständiger Geldnot. Und einem Schwiegersohn wie Taddeo Taddei könnte man sicher einen Titel verschaffen …
»Wo ist er? Ich werde mit ihm reden«, bot ich Baccio an.
»Er ist mit einer Eskorte weggeritten. Er hat nicht gesagt, wohin. Aber er hat mich gebeten, meine Zimmer im Palazzo Taddei zu räumen, bis er zurückkehrt.«
Der Mensch ist niemals frei. Hatte nicht Taddeo mir das gesagt? Taddeo verkaufte sich selbst und damit seine Freiheit an den Meistbietenden – für Macht!
Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Der biblische Prophet Hosea gab keinen Hinweis darauf, woher der Sturm wehte. Aber ich wusste genau, wohin er mich treiben würde: nach Perugia.
Sobald der Firnis der Grablegung Christi getrocknet war, mietete ich bei der Poststation einen Ochsenkarren, lud mit Gianni und Gio’ das in Decken gewickelte Tafelbild auf den Wagen, und machte mich auf den Weg nach Süden. Wir schlossen uns einer genuesischen Maultierkarawane an, die über Siena nach Rom zog.
In Siena besuchten wir meinen Freund Bernardino Pinturicchio, mit dem ich vor fünf Jahren in der Dombibliothek von Siena gearbeitet hatte. Er war immer noch mit den
Weitere Kostenlose Bücher