Der Fürst der Maler
näher. »Ich habe dir keinen solchen Auftrag erteilt, Raffaello.«
Auch Atalanta Baglioni war mittlerweile auf der Piazza San Francesco erschienen. Mutig trat sie zwischen ihren Neffen und mich. Während meiner Auseinandersetzung mit Baglioni im Dom hatte sie mich im Stich gelassen. Sie wusste, dass es ihre Schuld war, dass ich Perugia verlassen musste.
»Aber ich habe Maestro Raffaello diesen Auftrag erteilt«, trotzte sie ihrem Neffen. Eine Windbö riss ihr beinahe den Schleier vom Haar.
Baglioni warf mir einen zornigen Blick zu und trat einen Schritt zurück, als mir Madonna Atalanta ihren Arm reichte, damit ich sie in die Kirche führte. Für mein triumphierendes Lächeln hätte mich der Signore von Perugia prügeln lassen – wenn er es gekonnt hätte!
Die jubelnde Menge auf der Piazza vor der Kirche war mittlerweile auf rund tausend Menschen angewachsen – sie alle wollten das wundervolle Bild sehen, von dem bereits ganz Perugia sprach. Baglioni blieb nichts anderes übrig, als Madonna Atalanta und mir zornig lächelnd in die Kirche zu folgen.
Gio’ und Gianni hatten die Grablegung in der Cappella Baglioni aufgestellt und die Altarkerzen entzündet, damit jeder das Bild betrachten konnte.
Blitze krachten durch die tief hängenden Wolken, und Sturmböen fegten abgerissene Blätter bis in die Kirche. Die Kerzen vor der Grablegung flackerten unruhig.
Gian Paolo Baglioni trat vor den Altar und starrte das Gemälde an. »Das ist …!« Ihm fehlten die Worte.
Dem toten Christus hatte ich die Züge des ermordeten Grifonetto Baglioni gegeben. Maria Magdalena war seine junge Gemahlin, um die Gian Paolo und Grifonetto gestritten hatten. Sie hielt Grifonettos Hand – nicht Gian Paolos. Madonna Atalanta war die ohnmächtige Mutter. Und Gian Paolo Baglioni jener Mann mit zum Himmel gerichteten Blick, der Grifonetto in sein Grab trug.
»Das ist …!«, begann Baglioni erneut.
»Die Wahrheit, Signor Baglioni! Nichts als die Wahrheit!«, unterbrach ich ihn, und der Donner übertönte mein letztes Wort.
Ich wandte mich zum Gehen.
Madonna Atalanta eilte hinter mir her, während immer mehr Neugierige in die Kirche strömten, um das Bild zu bewundern – und dem Unwetter zu entgehen, das draußen auf der Piazza tobte.
»Maestro Raffaello! Wir haben uns nie über die Bezahlung für das Bild unterhalten …«
»Gebt mir, was Ihr meint, dass es wert ist«, bot ich ihr an.
Sie lächelte geheimnisvoll. » So viel habe ich nicht, Maestro. Für die Grablegung Christi gebe ich dir hundert Dukaten.«
»Madonna Atalanta! Das ist viel zu viel.«
»Für das Porträt meines Sohnes Grifonetto gebe ich dir weitere hundert Dukaten«, unterbrach sie mich.
»Madonna Atalanta …«
»Und für die Demütigung von Gian Paolo gebe ich dir fünfhundert Dukaten. Du hast sein Gesicht gemalt, wie es in dem Augenblick aussah, als er sich selbst im Bild erkannte. Wie in einem Spiegel«, lächelte sie. »Das ist wahre Kunst, Maestro! So wird mir dieser Augenblick des Triumphes für immer unvergessen bleiben. Ich danke dir.« Sie küsste mich auf die Wange.
Ein greller Blitz zuckte quer über den Himmel, blauschwarze Wolken jagten dem Donner hinterher, und der Sturm zerrte an meiner Kleidung, als ich aus der Kirche trat. Ich schloss für einen Augenblick die Augen und genoss das Empfinden des Sturmes auf meiner Haut – und das Gefühl des Triumphes!
Pietro Perugino warf mir einen finsteren Blick zu, als er an mir vorbei durch das Portal drängte – finster wie die Gewitterwolken des Sturmes.
Pietro tat mir kein bisschen Leid, weil er Blitz und Donner – Baglionis Zorn – ertragen musste.
Er war selbst schuld.
Wer Wind sät, wird Sturm ernten!
Kapitel 9
Ash-Shah mat!
» … und wir haben Perugia eine Stunde später verlassen«, setzte ich meinen Bericht fort. »Ohne den gemieteten Ochsenkarren, den wir bei der Poststation abgegeben haben, kamen wir schneller voran. Um möglichen Verfolgern zu entkommen, ritten wir im Galopp über Assisi nach Foligno, wo
wir uns auf der Via Flaminia nach Norden wandten: nach Urbino!«
Francesco und ich saßen im Garten des Palazzo Ducale auf den Steinen der Befestigungsmauer und blickten über die Dächer von Urbino hinweg zu den Hügeln am Horizont.
»Dich will ich nicht zum Feind haben, Raffaello«, lachte Francesco über Gian Paolo Baglionis Demütigung. Dann hob er sein Weinglas. »Lass uns auf unsere Freundschaft trinken! Möge sie ewig halten!«
»Möge Fortuna über uns wachen!« Ich
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