Der Fürst der Maler
durchquerte das Tor. Langsam ritt ich die Straße hinauf zum Pian di Mercato. Ich hatte alle Zeit der Welt. In diesem Augenblick würde der Torwächter in das Arbeitszimmer von Francesco Buffa stürzen und die Nachricht von der Ermordung Gian Andrea Bravos verkünden. Buffa würde sich hinter seinem Schreibtisch erheben und keine Minute zögern, den Herzog zu informieren. Und Fioretta. Sie würde mit fliegenden Röcken die breite Marmortreppe zum Cortile hinabstürzen, Tränen würden ihr schönes Gesicht nässen. Tränen der Trauer und des Zorns.
Am Pian di Mercato wandte ich mich nach rechts und ritt die Straße zum Dom und weiter zur Piazza Ducale. Die Palastwachen empfingen mich schweigend, ließen mich durch. Mit Bravos Pferd am Zügel durchquerte ich das Tor und erreichte den Cortile.
Herzog Guido stützte sich auf Francesco Buffa. Wie aus Marmor gemeißelt stand er im Hof und beobachtete bleich und unbeweglich, wie ich die Leiche seines besten Freundes heimbrachte. Ich bemerkte das Zittern seiner Hand, die auf Buffas Arm lag. Neben dem Herzog standen Giuliano de’ Medici, Baldassare Castiglione und meine anderen Freunde. Entsetzt starrten sie mich an.
Fioretta trat einen Schritt auf mich zu.
Ich stieg ab und ging zu Bravos Hengst. Ich ließ die Decke zu Boden gleiten und hob die Leiche Bravos vom Pferd. Dann nahm ich sie auf beide Arme und trug sie durch den Hof zu Fioretta. Vor ihr ging ich in die Knie und legte den Toten vorsichtig auf das Steinpflaster des Cortile. Sobald ich mich erheben wollte, fiel Fioretta wie eine Furie über mich her. Sie schlug mich, kratzte mich, trat nach mir. Sie weinte, war wie von Sinnen vor Schmerz. Ich legte meine Arme um ihre zuckenden Schultern, um sie zu trösten, drückte sie an mein blutiges Hemd.
Kräftige Hände packten meine Schultern und zogen mich von ihr weg. Meine Arme wurden auf meinen Rücken gedreht und mit einem Lederstrick gefesselt.
»Es tut mir Leid, Fioretta«, flüsterte ich. »Es tut mir Leid.«
Herzog Guido sah mich mit unbewegter Miene an, als ich vor ihn gezerrt wurde. Immer wieder irrten seine eisblauen Augen zwischen dem toten Freund und seinem vermeintlichen Mörder hin und her. Dann gab er den Befehl: »In den Kerker!«
Ich wurde in die Kellergewölbe des Palastes gebracht.
Wie oft war ich mit Francesco hier unten gewesen! Manchmal hatten wir nach Mitternacht heimlich zwei Hengste des Herzogs aus den Ställen geholt und waren für ein paar Stunden in die Hügel außerhalb der Stadt verschwunden. Einmal hatte ich mit Francesco hier unten mitten im Sommer eine Schneeballschlacht mit dem Schnee aus den Kühlbehältern der herzoglichen Küche veranstaltet. Betrat ich nun die dunklen Kellergewölbe zum letzten Mal in meinem Leben?
Das Geräusch, mit dem die Zellentür aus Eichenholz hinter mir zufiel, erinnerte mich an eine zuschnappende Mausefalle. Ich saß in der Falle!
Müde ließ ich mich auf die schmale Pritsche sinken, die an einer der unverputzten Wände stand. Meine Wunde hatte wieder zu bluten begonnen, als ich Bravo vom Pferd hob.
Durch das schmale, vergitterte Fenster hoch über mir fiel das blaue Licht der Dämmerung. In der Zelle war es fast dunkel. Von draußen hörte ich das Zwitschern der Schwalben, die sich über die Türme des Palazzo Ducale in den Himmel erhoben. Mit der Zeit wurde es still. Die Nacht senkte sich über Urbino, und die Pechfackeln vor dem Palazzo wurden entzündet. Die Domglocken läuteten. Dann wieder Stille.
Ich lag auf meiner Pritsche und starrte an die Decke. Ich hatte Schmerzen. Und obwohl mein Gesicht schweißnass war, zitterte ich vor Kälte. Und vor Einsamkeit.
Warum bloß war ich nach Urbino zurückgekehrt? Warum hatte ich Bravos Leiche nicht in den Metauro geworfen und war nach Venedig geflohen? Der Doge stand mit Urbino und Rom im Krieg: Er hätte mich sicher nicht ausgeliefert. In Venedig war Tiziano – wollten wir nicht gemeinsam eine Bottega eröffnen? Ich schüttelte den Kopf über die Absurdität meiner Entscheidung, Gian Andrea Bravos Leiche nach Urbino zurückzubringen.
Ich würde des Hochverrats angeklagt werden! Herzog Guido war ein gnädiger Herrscher, er würde mir eine schnelle Hinrichtung gewähren. Tod am Galgen? Ich lauschte auf das Sägen und Hämmern von Zimmerleuten, die auf der Piazza ein Gerüst errichteten – aber alles war ruhig.
Das Bluten hatte nicht aufgehört. Ich zog mein Hemd aus, riss es in Streifen und verband notdürftig die Wunde. Trotz meiner Schmerzen
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