Der Fürst der Maler
legte ich mich auf die Seite und zog die Knie an. Ich schloss die Augen.
War mein Leben wirklich schon zu Ende? Es schien doch gerade erst begonnen zu haben. Wie lange war es her, dass ich von Urbino nach Florenz aufgebrochen war? Drei Jahre! Was war alles geschehen in dieser Zeit! Ich hatte Felice gefunden und wieder verloren. Ich hatte Leonardo und Michelangelo kennen gelernt und mich mit Pietro Perugino gestritten. Eleonora hatte meinen besten Freund Francesco geheiratet. Sie hatte mir einen Sohn geschenkt. Urbino, Perugia, Siena, Florenz, Venedig! Erfolge und Niederlagen! Freundschaft und Verrat! Liebe und Hass! Welch ein erfülltes Leben! Doch – war Fortunas Füllhorn nun leer?
Irgendwann war ich vor Erschöpfung eingeschlafen. Das Rasseln des Schlüssels im Schloss weckte mich. Die Zellentür wurde aufgerissen. Das Licht der Fackeln blendete mich.
»Gianni! Gio’!«, rief ich, als ich die beiden erkannte.
»Raffaello!« Gianni trat neben die Pritsche, als die Zellentür wieder ins Schloss fiel. »Wie geht es dir? Wir haben gesehen, wie du mit Bravos Leiche zurückgekommen bist. Wir waren auf dem Pian di Mercato auf dem Rückweg vom Apotheker und haben dich gerufen, aber du hast uns nicht gehört. Wir sind dir zum Palazzo Ducale gefolgt, aber die Wachen haben uns nicht durchgelassen. Stundenlang haben wir gewartet, bis wir empfangen wurden.«
»Empfangen?«, fragte ich schwach.
»Gio’ und ich hatten um eine Audienz bei Francesco Buffa, dem Sekretär des Herzogs, gebeten. Empfangen wurden wir jedoch durch den Herzog selbst.«
Ich richtete mich auf, aber Gianni drückte mich auf die Pritsche zurück. »Aber wieso …?«
»Herzog Guido saß hinter seinem Schreibtisch wie der Großinquisitor persönlich. Hundert Fragen hat er Gio’ und mir gestellt. Über Madonna Fioretta und Signor Bravo. Über den Schlüssel zu deinem Haus. Wie oft sich die beiden getroffen haben und ob sie … na, du weißt schon! Als hätten Gio’ und ich durchs Schlüsselloch gesehen! Nach dir hat er gefragt. Und nach Herzog Francesco …«
»Er ist nicht Herzog.«
»Nein, noch nicht!«, antwortete Gianni trocken. »Aber jeder in Urbino nennt ihn so. Nur Herzog Guido scheint das noch niemand gesagt zu haben …«
»Aber du hast es getan?«, fragte ich.
»Ich bin Florentiner, Raffaello! Ich bin Republikaner«, sagte Gianni stolz, als würde das meine Frage beantworten.
»Was hat der Herzog gesagt?«
»Er hat getobt. Er sagte: Das ist Verrat!«
Gio’ kniete sich neben die Pritsche und legte ein verschnürtes Bündel auf den Boden. »Wir haben dir frische Kleidung mitgebracht: ein Hemd, eine Hose und Stiefel. Und der Herzog ließ uns ein Kissen und eine warme Decke für dich geben. Und diese Kerze.«
Ich starrte Gio’ an, als hätte er Hebräisch mit mir geredet, während er mir aufhalf, um den Verband zu wechseln. Eine Wolldecke und eine Kerze für einen zum Tode Verurteilten?
Gio’ wusch die Wunde mit frischem Wasser, legte mir einen neuen Verband an und zog mir ein Hemd über. Dann half er mir beim Wechseln der übrigen Kleidungsstücke, während Gianni mein Bett mit dem Kissen und der Wolldecke herrichtete.
Der Kerkermeister klopfte gegen die Zellentür, und Gio’ und Gianni verabschiedeten sich von mir.
Wieder war ich allein! Aber nicht mehr einsam.
Die Kerze brannte die ganze Nacht. Voller Hoffnung schlief ich ein …
… um am nächsten Morgen vom Sägen und Hämmern der Zimmerleute aus dem Schlaf gerissen zu werden. Trotz meiner Schmerzen sprang ich auf, schob das Bettgestell unter das Fenster und stieg hinauf. Im Innenhof des Palazzo wurde ein Holzgerüst errichtet!
Mit geschlossenen Augen sprach ich ein kurzes Gebet: »In meiner Verzweiflung rufe ich zu Dir, Herr! Hilf mir!«
Mein Schicksal war besiegelt! Ich würde des Verrats angeklagt und hingerichtet werden! Ich dachte an Albrecht Dürers Worte in Venedig: »Sie werden dich kreuzigen!«
Kurz vor der Siesta wurde die Zellentür aufgestoßen. Francesco Buffa betrat die Zelle. Er wich meinem Blick aus, als er mir winkte, ihm zu folgen.
Mit zitternden Knien folgte ich Buffa durch die dunklen Gänge des Kellergewölbes, die Rampe hinauf bis in den Cortile. Ich blieb stehen, um das Holzgerüst zu betrachten, das fast die gesamte Breite des Innenhofes einnehmen sollte. Wollte Guido aus meiner Hinrichtung ein Spektakel machen – als Abschreckung für jeden, der einen Verrat gegen ihn plante?
Buffa blieb stehen und drehte sich ungeduldig zu mir um.
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