Der Fürst der Maler
wäre ihm diese Idee noch nicht gekommen. »Hinrichten?«
»Im Cortile wird ein Gerüst errichtet, Euer Exzellenz«, erinnerte ich ihn.
»Ach ja, das Gerüst«, seufzte er und fuhr sich müde über die Augen. »Ich hätte es mit dir abstimmen sollen, Raffaello! Vergib mir! Pietro Bembo hat die Asolani beendet, die Dialoge über die Liebe, an denen er in den letzten Monaten geschrieben hat. Das Stück gefällt mir sehr gut, und ich denke, wir sollten es aufführen! Ich wollte dich fragen, ob du das Bühnenbild entwerfen willst. Du hast zwei talentierte Gehilfen …«
»Das Gerüst ist … eine Bühne?«, fragte ich atemlos.
Eine Bühne für das Theaterstück, das jetzt beginnen sollte!
Francesco kehrte fünf Tage später aus Senigallia zurück, wohin er geflohen war. Ungeduldig hatte er auf Neuigkeiten aus Urbino gewartet: auf meine Hinrichtung, auf Gian Andrea Bravos Staatsbegräbnis, auf eine Reaktion des Herzogs. Doch nichts geschah. Der Palast schwieg.
Nach Tagen der Ungewissheit kehrte Francesco nach Urbino zurück. Er ritt in den Cortile des Palazzo, als sei er von einem mehrtägigen Jagdausflug zurückgekehrt. Er wurde von bewaffneten Gefolgsleuten aus seiner Festung in Senigallia begleitet. Fürchtete er um sein Leben?
Ich beobachtete seine Ankunft von der Bühne im Cortile aus, wo ich Anweisungen für das Bühnenbild von Pietro Bembos Asolani gab, und stieg hinunter, um ihn zu begrüßen.
»Du lebst ja noch«, sagte er kühl, als er vom Pferd sprang. Er kam keinen Schritt näher, umarmte mich nicht. Er hielt Sicherheitsabstand.
»Wie du siehst, Francesco! Dein Onkel hat mich begnadigt«, antwortete ich.
»Wieso?«, fragte Francesco überrascht.
»Weil ich dein Freund bin«, sagte ich, und es war nicht einmal gelogen.
Francesco deutete nach oben. »Wie wird er mich empfangen?«
»Wer – Gott? Ich denke, er wird Lucifer mit den himmlischen Heerscharen schicken, damit er dich an der Himmelspforte in Empfang nimmt. Nur zu Seiner eigenen Sicherheit.«
»Ich meinte Herzog Guido«, fauchte Francesco nervös. Meine Selbstsicherheit verunsicherte ihn.
»Frag ihn selbst«, schlug ich vor. »Da kommt er.« Ich deutete zur Treppe.
Der Herzog war von seinem Sekretär Buffa über Francescos Rückkehr unterrichtet worden. Er begrüßte seinen Neffen auf der Marmortreppe wie den zurückgekehrten verlorenen Sohn.
Guidobaldo da Montefeltro war ein guter Herrscher und ein noch besserer Schauspieler. Kein Wunder: Das Stück, das er mit seinem ahnungslosen Neffen aufführte, war von Pietro Bembo und Baldassare Castiglione geschrieben worden. Ich hatte als Titel ›Die Heimkehr des verlorenen Sohnes‹ vorgeschlagen, aber Castiglione gefiel ›Die Rache des Herzogs‹ besser.
Der Herzog umarmte seinen Neffen. »Raffaello hat mir alles erzählt, Francesco. Welch eine abscheuliche, grausame Tat!«
Francesco sah mich überrascht, beinahe erschrocken an.
Ich hielt seinem Blick stand. Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen. Baldassare Castiglione, der meinen ›Auftritt‹ im Cortile vom Fenster der Loggia aus beobachtete, hatte mich am selben Nachmittag begeistert für die Hauptrolle in einem seiner nächsten Stücke vorgeschlagen …
Der Herzog fuhr unbeirrt in seinem Text fort: »Dass Gian Andrea Bravo dir so etwas antun konnte, Francesco! Ein Ausritt in den Wäldern mit dir und deinem besten Freund, um dich aus dem Weg zu schaffen und um Herzog zu werden: Das ist unglaublich! Geht es dir gut? Raffaello sagte, du wärest im Kampf verwundet worden.«
»Es geht mir gut, Onkel Guido. Die Wunde ist gut verheilt. Und was hat Raffaello sonst noch so alles erzählt?«, fragte Francesco misstrauisch.
»Er sagte, du hättest ihm das Leben gerettet, als Gian Andrea auf ihn losgehen wollte«, sagte der Herzog. »Er ist dir sehr dankbar.«
Francesco sah mich ungläubig an.
Die Konstellation auf dem Spielfeld hatte sich verändert. Ich war nicht des Mordes angeklagt worden, und Francesco war ein Held, weil er mir im Angesicht seines eigenen Todes das Leben gerettet hatte.
Francesco hatte erkannt, dass ich ihn in der Hand hatte und dass ich den nächsten Spielzug machen konnte – wann immer ich wollte.
Ein paar Wochen später war das Porträt vollendet. Fioretta war jeden Tag in meine Werkstatt gekommen und hatte mir stundenlang Modell gesessen. Sie war verzweifelt und gab sich doch jede Mühe, ihre Gefühle vor mir zu verbergen. Ich malte sie so, wie ich sie sah: von der Trauer gebeugt, am Schicksal verzweifelt,
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