Der Fürst der Maler
dieses unsinnige Spiel beenden, Raffaello!«
Die Hand, die er mir reichte, ignorierte ich. »Ich habe damit nicht angefangen, Francesco! Das warst du.«
»Lass uns Frieden schließen«, flüsterte er eindringlich. »Ich will keinen Krieg mit dir führen, Raffaello. Du bist mein Freund! Mein einziger Freund! Ich brauche dich.«
»Dann muss ich nicht fürchten, eines Tages wie Gian Andrea Bravo beseitigt zu werden?«, fragte ich zynisch.
Francesco schlug zornig mit der Faust auf die Brüstung des Balkons. »Du glaubst, du bist nun am Zug und kannst tun, was du willst. Täusch dich nicht, Raffaello! Du hast dieses Spiel verloren, bevor es richtig beginnt«, fauchte er.
»Ich bin am Zug, Francesco«, erinnerte ich ihn ruhig.
Meine Drohung schien ihn nicht zu beeindrucken. Hatte er nach den Jahren unserer engen Freundschaft mit meiner Reaktion gerechnet? Er kannte mich so gut, wie ich ihn kannte.
»Ja, das bist du. Du bist am Zug, Raffaello! Aber ich entscheide, wann du ziehst«, sagte er kalt. »Und wohin! Du lässt mir keine andere Wahl.«
»Und wohin ist das deiner Meinung nach?«, wollte ich wissen.
»Nach Rom. Ich will, dass du nach Rom gehst, Raffaello. Als mein Botschafter im Vatikan. Ich will wissen, was Onkel Giuliano über mich denkt. Ich will wissen, wen er zum Bannerträger der Kirche machen wird – Francesco Gonzaga oder mich. Ich will wissen, gegen wen er Krieg plant und wann er Frieden schließen will. Ich will wissen, was er isst, trinkt, liest, wann er ins Bett geht und mit wem!«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil Rom das letzte Spielfeld ist, das du betreten kannst.«
»Ich könnte nach Florenz zurückgehen.«
»Nicht, wenn ich Taddeo erzähle, dass du es warst, der seine Verschwörung mit Gian Giordano Orsini gegen den Papst, den Herzog und mich auffliegen ließ. Und auch Perugia ist ein lebensgefährliches Spielfeld für dich, nachdem du dir Gian Paolo Baglioni so gründlich zum Feind gemacht hast.«
Ich war sprachlos, als Francesco mich siegesgewiss anlächelte.
»Das Spiel ist beendet, Raffaello. Eleonora – deine weiße Königin – ist meine Geisel. Beende dieses unsinnige Spiel, verlasse das Spielfeld Urbino, und ihr wird nichts geschehen.«
Er umarmte mich.
»Ash-Shah mat!« , flüsterte er in mein Ohr.
R OM
Es steht dem Menschen frei,
sich durch seinen eigenen Willen
in die Welt des Göttlichen zu erheben.
Giovanni Pico della Mirandola
Kapitel 10
Das Evangelium des Raphael
D ie Porta Flaminia war das Tor in eine andere Welt!
So musste sich Amerigo Vespucci gefühlt haben, als er zum ersten Mal in der Neuen Welt an Land ging. Sein Buch Mundus Novus befand sich in meiner Satteltasche – Francesco hatte es mir zum Abschied geschenkt, als ich vor drei Tagen Urbino verließ, um über Gubbio, Foligno und Spoleto die Via Flaminia entlang nach Rom zu reisen.
Rom war … anders. Anders als Urbino, wo die Zeit stehen geblieben war, anders als Florenz, die Stadt überschäumender toskanischer Lebensfreude, anders als Venedig mit seinem orientalischen Sprachgewirr und den verführerischen Düften.
Rom war ein verwesender Leichnam, halb begraben in den sumpfigen Wiesen, die direkt hinter der Porta Flaminia begannen, halb zerfallen – ein Skelett aus den weißen Säulen des Forum Romanum, das jetzt eine Kuhweide war und Campo Vaccino hieß. Die sterblichen Überreste imperialer Macht, die wie der Putz von den einsturzgefährdeten Palazzi herabfiel. Das Kapitol, das Zentrum des Imperium Romanum, war eine blühende Wiese namens Monte Caprino, auf der Schafe und Ziegen weideten, der Palatin mit dem Kaiserpalast ein Ruinenfeld, der Quirinal ein verwilderter Weinberg.
Rom war erschreckend und abstoßend. Und doch faszinierend!
Am Stadttor wechselte ich meine Fiorini in römische Dukaten und ritt durch das Labyrinth der Gassen, die kaum breiter waren als die in Venedig. Das Kopfsteinpflaster war locker und uneben, und die lederbespannten Holzräder der Ochsenkarren machten einen Höllenlärm – der allerdings leichter zu ertragen war als der Gestank, der mir in einigen Vierteln entgegenwehte. Urbino war ein Schwalbennest, Florenz die Stadt der Tauben – in Rom herrschten die Ratten über die Müllhalden am Straßenrand.
Seit der Rückkehr der Päpste aus dem Exil in Avignon wurde Rom neu erbaut. › Ecce, nova facio omnia: Seht, ich mache alles neu!‹, soll Papst Nikolaus V. beim Anblick der Ruinen Roms das Buch der Apokalypse zitiert haben. Wie ein Sturm in einem Kornfeld
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