Der Fürst der Maler
seiner Schwester Lucrezia ermordet, Francesco della Rovere den Liebhaber seiner Schwester Fioretta. Und nun vielleicht sogar Herzog Guidobaldo da Montefeltro.«
Dann hatte Francesco also nicht mit dem Placet des Papstes gehandelt, als er seinen Onkel Guido ermordete? Falls er ihn ermordet hatte! Vielleicht war es ja doch alles ganz anders …
»Versucht nicht, den Vulkan mit Weihwasser zu löschen«, warnte mich de Grassis, als sich das Portal der Sixtina erneut öffnete.
Die Kardinäle Giovanni de’ Medici und Alessandro Farnese waren die Ersten, die die Sixtina verließen. Giovanni blieb überrascht stehen, als er mich sah: »Raffaello! Du bist in Rom?«
Dem Zeremoniell entsprechend, fiel ich auf die Knie und küsste seinen und Alessandros Ringe. Dann reichte mir auch Kardinal Ippolito d’Este die Hand zum Kuss. Ich hatte den Bruder des Herzogs Alfonso d’Este von Ferrara während der Feierlichkeiten von Francescos und Eleonoras Hochzeit kennen gelernt. Giovanni und Alessandro stellten mich den Kardinälen Rafaele Riario, dem Cousin des Papstes, und Francesco Soderini vor, dem Bruder des Gonfaloniere von Florenz. Kardinal Alidosi stand auf ein paar Worte beim Papst neben dem Altar.
Giovanni de’ Medici geleitete mich durch die Kapelle zu Seiner Heiligkeit. »Seit wann bist du in Rom, Raffaello?«, fragte er.
»Erst seit gestern, Giovanni.«
»Seit gestern? Apollon bezwingt den Olympos an einem Tag«, sagte er anerkennend. »Maestro Pietro Perugino musste drei Wochen auf eine Audienz warten! Und dann schleuderte Zeus nur Blitz und Donner! Zwei Mal musste Maestro Pietro seine Fresken in den Stanzen wieder abschlagen. Julius ist zornig – er ärgert sich über Pietro Perugino und Gian Antonio Sodoma. Vor allem aber über Michelangelo. Warum kommst du nicht heute Abend zum Essen in meinen Palazzo? Wir haben viel zu besprechen.«
»Ich komme gerne«, versprach ich ihm. »Wenn ich die Farbschlacht überlebe.«
Julius hatte mich bemerkt. Er scheuchte Kardinal Alidosi, den Kardinallegaten von Bologna, mit einer ungeduldigen Handbewegung fort. Noch bevor der Kardinal auf die Knie sinken konnte, um den Fischerring zu küssen, raffte der Papst seine weiße Soutane und kam zu mir herüber.
»Maestro Raffaello Santi! Welch eine Ehre«, rief er sarkastisch.
»Heiliger Vater!« Ich fiel vor ihm auf die Knie.
»Ist das Wetter in Urbino so schlecht, dass du nach Rom fliehen musst, um den Gewitterwolken zu entkommen?«, fragte er bissig.
»Es war in letzter Zeit unerwartet … stürmisch«, verriet ich.
»So ist Unser Neffe Francesco: aufbrausend wie ein Wirbelwind! Und genauso vernichtend!« Julius legte mir seine Hand auf den Arm. »Wir betrauern den Tod deines Sohnes. Luca war wie ein Enkel für Uns. Wir haben für ihn in der Sixtina eine Messe gelesen. Gott sei seiner Seele gnädig.«
»Danke, Heiliger Vater.«
»Francesco hat dich nach Rom geschickt, nicht wahr? Er will wissen, wie Wir über den Mord an Guido denken. Erspare dir die Mühe, ihm ellenlange Briefe zu schreiben: Wir werden es ihm selbst sagen. Francesco wird sich hier in Rom vor Uns für seine Tat verantworten müssen.«
Ich war entsetzt.
Glaubte Julius, dass Francesco seinen Onkel ermordet hatte? Wenn der Papst seinen Neffen exkommunizierte, würde es Krieg geben zwischen Urbino und Rom! Das war so sicher wie das Amen während der Messe …
Noch bevor ich diesen Gedanken zu Ende denken konnte, sah ich, wie Paris de Grassis Michelangelo durch die Sixtina führte. Er war ebenso überrascht, mich zu sehen, wie ich ihn. Doch bevor wir uns begrüßen konnten, trat Julius zwischen uns.
»Heute ist wirklich Unser Glückstag«, rief der Papst. »Viele sind berufen, aber nur wenige sind auserwählt: Michelangelo und Raffaello!«
Michelangelo fiel auf die Knie und küsste den Fischerring. »Auserwählt, Heiliger Vater?«
»Wir werden euch beide vor allen Malern Italiens auszeichnen.«
Michelangelo schluckte trocken. »Vor allen Malern ?«
Julius legte ihm freundschaftlich seinen Arm um die Schultern. »Du, Michelangelo, wirst das vollenden, was Sandro Botticelli, Domenico Ghirlandaio und Pietro Perugino vor fünfundzwanzig Jahren begonnen haben. Du wirst die Decke der Sixtina freskieren« Julius deutete nach oben.
Michelangelos Blick folgte bestürzt der Bewegung der päpstlichen Hand – wie Gian Andrea Bravos Blick Francescos Schwert gefolgt war, als dieser zum Todesstoß ausholte. Michelangelo stand in diesem Augenblick sicherlich nicht
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