Der Fürst der Maler
lässt päpstliche Breves verfassen. Er bittet nicht. Er befiehlt.«
»Dies ist kein offizieller Auftrag, Leonardo! Ich weiß nicht einmal, was er von mir will«, rief ich aus.
»Dann geh nach Rom und frag ihn«, rief Leonardo ungeduldig.
Francescos Bote fand mich, als ich mit Taddeo und Fioretta beim Frühstück saß. Ich war nicht, wie üblich, schon bei Morgengrauen in meine Bottega im Konvent von San Marco gegangen, weil ich bis lange nach Mitternacht gearbeitet hatte.
Seit meiner Verpflichtung als Maler der Republik Florenz konnte ich mich vor Aufträgen kaum retten. Zwei Gemälde mussten fertig gestellt werden, der Thronenden Madonna für die Kirche Santo Spirito fehlten noch etliche Farblasuren, und die Entwürfe für den Ratssaal ließen mich nachts nicht mehr schlafen. Gianni und Gio’ kümmerten sich um die kleineren Aufträge, die ich nicht allein schaffen konnte. Aber auch sie arbeiteten Tag und Nacht. Erst vor zwei Tagen hatten wir darüber gesprochen, einen oder zwei neue Gehilfen aufzunehmen, weil wir auch zu dritt die Bestellungen nicht erledigen konnten.
Taddeo war umwerfend guter Laune. Er hatte sich gestern zum ersten Mal seit Monaten mit Baccio d’Angelo getroffen, um mit ihm Frieden zu schließen. Baccio hatte ihm vergeben. Um zu erahnen, was die beiden nach ihrer Versöhnung taten, brauchte ich nicht viel Fantasie.
Fioretta war sehr blass an diesem Morgen. Ihre Schwangerschaft machte ihr zu schaffen. Sie stocherte in ihrem Essen herum und brachte keinen Bissen herunter. Wusste sie von Baccio?
Taddeos Diener führte den herzoglichen Boten in den Speisesaal. Der Reiter war staubbedeckt und völlig erschöpft. War er den weiten Weg von Urbino bis Florenz ohne Rast geritten? Was war geschehen?
Wortlos reichte er mir einen Brief mit dem Siegel des Herzogs von Urbino. Ich zerbrach das Siegel und entfaltete das Pergament.
»Teuerster Freund!« Es war Francescos Handschrift. »Mein Bruder! Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren und um ihn weinen, bedauern wir den Toten oder uns selbst, die wir mit der Leere, die er hinterlassen hat, weiterleben müssen?«
Meine Hände begannen zu zittern. Ich holte tief Atem und las weiter:
»Unser geliebter Herzog Guidobaldo di Federico da Montefeltro ist tot! Er starb vor drei Tagen in Fossombrone. Gott sei seiner Seele gnädig! Traure mit mir, mein Freund! So nannte auch er dich, nicht wahr? Seinen Freund und Vertrauten. Und traure mit mir um Luca, deinen … unseren Sohn! Luca starb an der Seite des Herzogs. Komm zurück nach Urbino, Raffaello! Ich brauche dich. Lass uns Frieden schließen! Und wenn du mir wegen Gian Andrea Bravo nicht vergeben kannst, dann komm nicht um meinetwillen, sondern um Eleonora zu trösten. Ich liebe dich!
Francesco della Rovere, Herzog von Urbino.«
Der Brief entglitt meiner Hand. Ich war wie versteinert.
Herzog Guido war gestorben! Luca – mein kleiner Luca – war tot!
Was war geschehen in Fossombrone? Kein Wort davon in Francescos Brief. Wenn Guido seinem Leiden erlegen war: Warum war mein Sohn tot? Und Francesco hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich selbst zum Herzog von Urbino zu machen! Ein furchtbarer Verdacht stieg in mir auf, so furchtbar, dass ich den Gedanken nicht zu Ende denken wollte …
Fioretta hatte an demselben Abend eine Fehlgeburt. Die Erschütterung über den Tod ihres Onkels und ihres kleinen Neffen und ihr Sturz von der Treppe, als sie weinend in ihr Zimmer eilen wollte, waren zu viel gewesen.
Taddeos jüdischer Medicus rang drei Tage und Nächte lang um ihr Leben. Drei Tage und Nächte, in denen ich nicht von Fiorettas Seite wich. Eine endlose Zeit des Nachdenkens, des Zweifelns, des Ringens.
Ich hatte die Kaltblütigkeit gesehen, mit der Francesco Gian Andrea Bravo umgebracht hatte, weil er ihm im Weg war. War Francesco fähig, seinen eigenen Onkel zu töten, um Herzog zu werden?
Guido war sterbenskrank, es wäre eine Frage von Monaten gewesen, bis er seinem Leiden unter Qualen erlegen wäre. So oft hatte er schon am Rande des Abgrunds gestanden!
Und Luca? Warum musste mein Sohn sterben? Francesco hatte ihn wie seinen eigenen Sohn verwöhnt. Wollte Francesco sein eigenes Kind als Nachfolger – das Kind, das Clarissa ihm in wenigen Wochen schenken würde?
Warum war Francesco bereits drei Tage nach Guidos Tod Herzog von Urbino? Die Nachricht vom Tod seines Schwagers konnte Papst Julius in Rom unmöglich so schnell erreicht haben, dass er Francesco als dessen Nachfolger ernennen
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