Der Fürst der Maler
weniger Qualen aus als der sterbende Signor Bravo!
Die Sixtinische Kapelle, die Julius’ Onkel Sixtus IV . errichten ließ, war 1481 fertig gestellt worden. Sie glich mehr einer Festung als einer Kapelle und sollte Papst Sixtus im Krieg zur Verteidigung des Vatikans dienen. Ich betrachtete die herrlichen Fresken an den Wänden: Sandro Botticellis Jugend des Moses, Domenico Ghirlandaios Berufung der Jünger, Cosimo Rossellis Moses durchquert das Rote Meer, Bernardino Pinturicchios Taufe Christi und Pietro Peruginos berühmte Schlüsselübergabe. Mein Blick glitt höher, vorbei an der Galerie und den hohen Fenstern zum Gewölbe.
Die Decke der Sixtina war in Azurblau ausgemalt und mit goldenen Sternen geschmückt. Nur langsam gewöhnten sich meine Augen an das Gegenlicht aus den Fenstern, doch dann erkannte ich das Ausmaß der Katastrophe: Die Decke war ein Tonnengewölbe mit gewölbten Zwickeln! Keine Quadratelle dieser Wand war glatt. Aber das war noch nicht das Schlimmste: Die Deckenfresken mussten in der unglaublichen Höhe von fünfzig Ellen gemalt werden! Kein Holzgerüst konnte so hoch konstruiert werden, ohne dass es bei jedem Schritt ins Schwanken geriet und zur Lebensgefahr für den Maler und damit zur Gefährdung der Kapelle selbst würde.
Ich musste wie unter Qualen gestöhnt haben, denn Julius sah mich irritiert an.
»Aber, Heiliger Vater«, beschwor Michelangelo den Papst. »Was ist mit dem Grabmal? Ich bin wegen des Grabmals aus Florenz zurückgekehrt. Das päpstliche Breve … Ich nahm an …«
» Was nahmst du an?«, fragte Julius gereizt.
»… dass ich nun endlich den Auftrag erhalte.«
»Du bekommst ihn ja, Michelangelo. Aber erst malst du diese Decke.«
»Ich bin Bildhauer, kein Maler«, protestierte Michelangelo.
»Ach ja? Und ich Einfaltspinsel hielt den Karton der Schlacht von Cascina für einen Entwurf für ein Fresko«, konterte Julius bissig. »Kardinal Francesco Soderini hat Uns davon vorgeschwärmt.«
»Piero Soderini, der Gonfaloniere von Florenz, bat mich um dieses Fresko, Heiliger Vater! Ich malte den Entwurfskarton zur höheren Ehre der Republik Florenz«, erklärte Michelangelo. Er war der Verzweiflung nah.
»Und nun bitten Wir dich um noch ein Fresko! Ad maiorem gloriam Dei! «, rief Julius.
»Heiliger Vater …«, begann Michelangelo.
»Bist du Republikaner oder Christ?«, schmetterte Julius, der zunehmend zorniger wurde.
»Ich bin Christ, Euer Heiligkeit«, sagte Michelangelo leise.
»Gut, dann hätten wir diese Sache ja geklärt. Du kannst nächste Woche mit der Freskierung beginnen«, entschied Julius.
»Nein, Heiliger Vater! Ich kann nicht. Ich habe noch nie ein solch großes Gewölbe gemalt …«, begann Michelangelo.
»Hast du die Kunst der Freskomalerei bei Domenico Ghirlandaio gelernt oder nicht?«, unterbrach ihn Julius.
»Raffaello hat mehr Erfahrungen als ich! Er hat mit Perugino in Perugia gearbeitet und mit Pinturicchio in Siena …«
»Schweig!«, brüllte Julius. »Du wirst die Sixtina ausmalen oder dein nächstes Fresko an die Wand deiner Zelle in der Engelsburg pinseln! Zwölf Apostel und die üblichen Ornamente in Blau und Gold. Das ist mein letztes Wort. Basta! «
Michelangelo neigte demütig den Kopf und sagte nichts mehr.
Julius wandte sich mir zu. »Und du, Raffaello, sollst das vollenden, was Piero della Francesca und Bernardino Pinturicchio in den Stanzen begonnen haben. Komm mit!«
Bevor ich den Mund aufmachen konnte, hatte er seine Soutane gerafft und rauschte aus der Sixtina. Ich eilte ihm hinterher. Michelangelo blieb hinter uns zurück. Er hatte sich mit seinem Schicksal noch nicht abgefunden.
Julius eilte durch seinen Palast, als gelte es, Bologna erneut zu erobern. Wir stiegen eine schmale Treppe hinauf und durchquerten eine Loggia. In einem Saal, dessen Wände mit einem hohen Gerüst verstellt waren, blieb der Papst stehen.
»Hier arbeitet Baldassare Peruzzi«, erklärte er. »Wenn er mal arbeitet! Peruzzi baut lieber an Agostino Chigis Villa in Trastevere. Mein Freund Agostino scheint ihn besser zu bezahlen.«
Baldassare hatte ich in Siena kennen gelernt, als wir beide als Pinturicchios Gehilfen die Dombibliothek des Kardinals Piccolomini freskierten. Baldassare hatte sich eines Tages den Spaß erlaubt, mich in einem der Fresken zu porträtieren, während ich den Dingen der Welt entrückt und mit ekstatischem Gesichtsausdruck direkt über ihm an einem von Maestro Bernardino entworfenen Gewitter herumpinselte.
Julius eilte
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