Der Fürst der Maler
Wie sehr hatte er sich über den Auftrag Seiner Heiligkeit gefreut, die päpstliche Wohnung ausmalen zu dürfen! Sein zweiter Triumph im Vatikan, nachdem er vor fünfundzwanzig Jahren bereits in der Sixtina gemalt hatte.
Doch nun freskierte Michelangelo die Decke der Kapelle und drohte alles in den Schatten zu stellen, was er selbst gemalt hatte. Und meine Fresken überstrahlten seine eigenen Arbeiten in den Stanzen, blendeten den Papst so sehr, dass er diesen unbarmherzigen Befehl zur Vernichtung gab. Am selben Tag hatte Pietro seine Gehilfen das Gerüst abbauen, die Bretter, Gipssäcke und Farbgefäße wegschaffen lassen.
» ›Veni, vidi, vici‹ , sagte Caesar nach der Schlacht: ›Ich kam, sah, und siegte‹. Der Sieger nimmt sich alles«, hatte Pietro gemurmelt, als er sich von mir verabschiedete. »Und die Verlierer müssen sich bedingungslos unterwerfen.«
»Baldassare Peruzzi und Gian Antonio Sodoma haben sich mir nicht ›unterworfen‹, Pietro«, sagte ich sanft. »Im Übrigen hatte ich auch dir angeboten, in meiner Bottega mitzuarbeiten.«
»Als dein Schüler?«, hatte Pietro gebrüllt. »Als Lehrling des großen Raffaello Santi? Damit ich meine Fresken mit deinen Entwürfen übermale? Niemals!« Er hatte sich umgedreht und war gegangen. Nach Florenz, wo er sich vor mir und Michelangelo sicher glaubte.
Giulio Romano meißelte an einem von Pietros Engeln herum, als ich den Raum betrat. Er versuchte, ihn mit seitlichen Schlägen des Stemmeisens von der Wand abzulösen. Giulio war ein echter Römer: aufbrausend, stolz, mit einer erotischen Anziehungskraft, die mich faszinierte. Er hatte einen Körper wie von Praxiteles gemeißelt. Und er war der geschickteste meiner neuen Lehrlinge. Er lächelte und nickte mir zu, als er mich sah, unterbrach seine Arbeit aber nicht.
Gian Antonio Sodoma kam mit einer Rolle Skizzen unter dem Arm in die Stanza. »Buon giorno, Capo!« , neckte er mich. Gian Antonio hatte mir nach der päpstlichen Entscheidung, die Fresken abzuschlagen, seine Mitarbeit bei den umfangreichen Arbeiten in den Stanzen angeboten. Und die seiner Muse, der Eselin Thalia! Seit ich ihn als Mitarbeiter beschäftigte, nannte er mich spöttisch seinen Capo – seinen Chef.
Er deutete auf die Rolle unter seinem Arm. »Baldassare Peruzzi hat die Pläne für den Umbau der ersten Stanza mit Bramante besprochen. Willst du sie dir ansehen?«
Ich nickte und folgte ihm in die Stanza della Segnatura, wo sich Baldassare über den Werktisch beugte. Der Sienese Peruzzi war Maler und Architekt. Als Maler benutzte er die Kunst der Perspektive wie ein erfahrener Baumeister. Noch nie zuvor hatte ich so täuschend echte Landschaftsskizzen gesehen wie in seiner Mappe. Und als Architekt baute Baldassare seine eleganten Palazzi in die sie umgebende Landschaft, als wären sie Teil eines gemalten Bildes. Als ich ihn gefragt hatte, ob er mit mir zusammen weiterhin in den Stanzen malen wollte, hatte er unter der Bedingung zugestimmt, dass er die Nachmittage auf der Baustelle der Villa verbringen könnte, die er für Agostino Chigi errichtete.
Gian Antonio entrollte die Baupläne auf dem Werktisch.
»In den Winkeln des Raumes wird das Gewölbe nach unten verlängert. Dadurch werden die Lünetten regelmäßiger, und der Blick des Betrachters wird von den unsymmetrischen Proportionen der Stanza abgelenkt«, erklärte Baldassare Peruzzi seine Entwürfe.
»Was sagt Donato Bramante dazu?«, fragte ich.
Baldassare lachte. »Donato hat sich köstlich amüsiert, als ich ihm meine Pläne gezeigt habe. Er sagt: Raffaello baut die Stanza um seine Fresken herum. Donato schickt die angeforderten Arbeiter heute Mittag.«
Es war ein heißer Nachmittag im September. Ich saß an meinem Schreibtisch, den ich in dem Saal hinter den Stanzen aufgestellt hatte. Vor mir lagen Entwürfe für das zweite große Fresko, das gegenüber dem Evangelium gemalt werden sollte.
Ich war allein. Gianni und Gio’, Raffaellino, Giulio, Perino und Polidoro waren zur Piazza Navona gegangen, wo ein Fußballspiel der Florentiner gegen eine römische Mannschaft stattfinden sollte. Die Jungen wollten mitspielen, und ich hatte ihnen freigegeben. Baldassare Peruzzi war zu seiner Baustelle in Trastevere verschwunden, und Gian Antonio Sodoma trieb sich in den vatikanischen Gärten herum und ließ sich von seiner Muse küssen.
Ich las Fra Bartolomeos Brief, den er mir aus Venedig geschrieben hatte. Er war vor einigen Wochen dorthin gereist und hatte im Palast des
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