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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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wirfst du mit Gewalt alle Konventionen aus dem Tempel der Kunst und verwirklichst etwas ganz Neues! Leonardos Abendmahl in Mailand ist verdünnter Wein und ein trockenes Stück Brot gegen dieses Glaubensbekenntnis!
    Du hast in diesem Bild alles dargestellt: Himmel und Erde, Glauben und Wissen, den Zweifel und die Suche nach Erkenntnis. Die Trinità und die Heiligen der Kirche. Die Evangelien und die Schriften der Kirchenväter. Die unsichtbare und die sichtbare Kirche – die Baustelle von San Pietro ist ein genialer Einfall«, lachte er. »Liturgie und Offenbarung. Vergangenheit und Gegenwart. Aber wo ist die Zukunft der Kirche?«
    »Der Betrachter selbst ist ein Teil des Bildes, Euer Heiligkeit«, erklärte ich. »Es existiert nicht ohne ihn. Er ist die Zukunft.«
    »Willst du deinem Papst Nachhilfeunterricht in Theologie geben, Maestro Raffaello?« Julius sah mich scharf an, als würde er eine Antwort von mir erwarten. Oder eine Entschuldigung. »Nein, du willst es nicht, du tust es einfach – du hast sogar das Unsichtbare dargestellt: die Wahrheit!«
    »Die Wahrheit, Euer Heiligkeit?«
    »Nur wenige der Gelehrten sehen hinauf zu Christus und seinem göttlichen Vater. Die meisten betrachten das Geheimnis des Sakraments und glauben zu wissen. Du hast selbst hinaufgesehen, nicht wahr, Raffaello? Du hast Ihn gesehen! Denn sonst könntest du Ihn so nicht malen. Er trägt kein menschliches Antlitz.«
    »Ich habe in den Straßen Roms niemanden getroffen, der Sein Lächeln hatte. Ich habe Giulio Romano wochenlang zum Campo dei Fiori und zur Piazza Navona geschickt. Er hat unzählige Skizzen von Römern, Florentinern und Venezianern gemacht, aber sie haben mir alle nicht gefallen. Giovanni da Udine war im jüdischen Ghetto, aber auch er hat keinen Christus gefunden. Niemand hatte das Gesicht, das ich suche …«
    »Und selbst im Vatikan hast du Ihn nicht gefunden«, sagte Julius ernst. »Christus war lange nicht hier, Raffaello! Du hast Ihn zurückgeholt … Wie willst du das Bild nennen?«
    »Divinarum rerum notitia – Das Erkennen des Göttlichen« , schlug ich vor und deutete auf die gemalte Inschrift in der Tafel der Theologie im Deckengewölbe direkt über dem Fresko.
    Julius schüttelte den Kopf: »Dieses Bild ist die Frohe Botschaft, dass Gott nicht tot ist. Dass Er da ist, die ganze Zeit. Dass wir Menschen nicht allein sind. Dieses Bild ist ein Glaubensbekenntnis zu den Idealen des Humanismus und des christlichen Glaubens.
    Ich, Giuliano della Rovere, nenne dieses Fresko demütig: Das Evangelium des Raphael! «

Kapitel 11
Seht, ich mache alles neu!
    D er Donnerhall der Schläge dröhnte durch die Stanzen: Raffaellino del Colle und Giulio Romano schlugen die Fresken von den Wänden. Ich betrat die Stanza della Segnatura und bahnte mir einen Weg durch das Chaos.
    Raffaellino war im wahrsten Sinn des Wortes zum ›Bildhauer‹ geworden. Mit Hammer und Schlageisen ging er auf Piero della Francescas Fresken los. Große Stücke des Verputzes fielen unter seinen Schlägen von der Wand und zerbarsten auf dem kostbaren Mosaikboden der Stanza. Als ich hinter ihm stehen blieb, hielt er inne. Auf dem Werktisch lag, in ein Tuch gewickelt, ein Stück Verputz. Ich schlug das Leinen zurück und erkannte Maestro Pieros Königin von Saba. Raffaellino hatte ein Stück des Freskos aus der Wand herausgemeißelt.
    Mein neuer Lehrling ließ Hammer und Schlageisen sinken und trat neben mich. »Ich konnte es nicht zerstören, Maestro«, entschuldigte er sich.
    »Das hätte ich auch nicht gekonnt«, gestand ich. »Willst du es für deine Skizzenmappe behalten?«
    Raffaellino nickte mit strahlenden Augen. Welcher Lehrling hatte schon einen echten Piero della Francesca in seiner Mappe?
    »Wo ist Giulio Romano?«, fragte ich.
    »Nebenan in der anderen Stanza, Maestro. Er versucht, einen der Engel von Pietro Perugino zu retten. Für seine Skizzenmappe.«
    Ich ging weiter in den Raum, in dem Pietro bis vor einer Woche gearbeitet hatte. Bis Papst Julius ihm gesagt hatte, dass seine Anwesenheit im Vatikan nicht länger erwünscht sei, weil er mir die Arbeit an den päpstlichen Stanzen übertragen hatte. Im gleichen Atemzug hatte Julius befohlen, sämtliche Fresken von Pietro Perugino, Baldassare Peruzzi und Gian Antonio Sodoma abzuschlagen, damit ich meine ›Evangelien‹ dort malen konnte.
    Pietro hatte nicht einmal mehr die Kraft gehabt, auf mich loszugehen oder mich zu verfluchen. Er war ein gebrochener Mann, verzweifelt, den Tränen nah!

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