Der Fürst der Maler
Dogen Giorgione da Castelfranco und dessen Schüler Sebastiano Luciani kennen gelernt. Außerdem erzählte er haarsträubende Geschichten von Tiziano Vecelli, den er in dessen Bottega besucht hatte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie der selbstbeherrschte Dominikaner Fra Bartolomeo und der ungebändigte Wirbelwind Tiziano Arm in Arm durch die Gassen von Venedig zogen, und musste lachen.
Auch Leonardo hatte mir geschrieben. Er war nach Mailand zurückgekehrt und arbeitete dort für Charles d’Amboise an einem Kanal, der Mailand mit dem Meer verbinden sollte. Und an einem Cavallo für Marschall Trivulzio. Die Leda mit dem Schwan und die Madonna in der Felsgrotte waren vollendet. Leonardos Zeilen sprühten vor Lebenslust: Er war glücklich und frisch verliebt! Sein Geliebter hieß Francesco Melzi, war fünfzehn Jahre alt und bellissimo, wie Leonardo stolz schrieb. Melzi hatte ein unglaubliches Talent, las ich, »aber leider nicht auf dem Gebiet der Malerei«. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen? – hatte Leonardo ihn als Schüler aufgenommen.
Ich sah auf, als ich ein leises Schnarren auf dem Mosaikboden hörte. Jemand war in einer der Stanzen! Ich legte Leonardos Brief zur Seite.
»Giulio?«, rief ich, weil ich dachte, Giulio Romano wäre zurückgekommen. Ich hatte ihn gebeten, mir für eine Figur der Fresken Modell zu stehen.
Keine Antwort.
Ich erhob mich und durchquerte die Stanza, in der Baldassare Peruzzi gearbeitet hatte. Meine Schritte knirschten auf dem ungefegten Mosaikboden, als ich mir zwischen Säcken mit Gips, Wassereimern und Werkzeugen meinen Weg bahnte. Ich fand Michelangelo in der Stanza della Segnatura vor dem Karton des Evangeliums. Konzentriert studierte er die Perspektive und die Haltung der Figuren.
»Dieser Karton ist ein Triumph der Freiheit«, sagte er schließlich. »Meine Apostel treiben mich zur Verzweiflung! Zwölf lächerliche Figuren, eingeklemmt in ein verbautes Gewölbe. Wieso lässt Julius dir diese Freiheit und mir nicht?«
»Freiheit ist nichts, was dir geschenkt werden kann, Michelangelo. Entweder du hast sie oder nicht.«
»Du bist frei«, sagte er, und es klang wie ein Vorwurf. » Libera me, Domine! Ich bin nicht frei. Ich bin ein Sklave von Bramantes Launen.«
Ich sah Michelangelo überrascht an. »Welche Launen?«
» Il Ruinante steckt hinter diesem Auftrag für die Sixtina.« Zornig ballte Michelangelo seine Fäuste. »Er will mich ruinieren. Er weiß genau, dass die Decke der Sixtina mich umbringen wird. Bramante will verhindern, dass ich Julius’ Grabmal fertig stelle, das seine wundervolle neue Kathedrale verschandeln könnte. Er hofft doch selbst auf den Auftrag für das Grabmal.«
»Das glaube ich nicht«, widersprach ich.
»Wer hat Julius auf die Idee gebracht, ich könnte die Sixtina freskieren? Und wer hat ihm ausgeredet, dir zu den Stanzen auch noch die Sixtina zu geben?« Ich schwieg nachdenklich, und er fuhr fort: »Bramante wartet nur darauf, dass die Fresken misslingen. Er möchte zu gerne nicht nur San Pietro, sondern auch die Sixtina abreißen und neu errichten. Kennst du nicht den Witz, den man über ihn erzählt?
Bramante wird von Petrus der Zutritt zum Himmel verweigert. Petrus fragt Bramante: Warum hast du meine Kirche in Rom zerstört? Darauf fragt Bramante Petrus, ob er nicht das Himmelsgewölbe einreißen und neu errichten könnte …
Il Ruinante zerstört alles: das Colosseum, die Caracalla-Thermen, er lässt sogar die antiken Marmorsäulen in San Pietro zersägen, um aus ihnen Gipsmörtel herzustellen. Dieser Vandale! Und um ganz sicherzugehen, dass die Fresken in der Sixtina kein Triumph für mich werden, lässt er mir ein Gerüst errichten, das er an der Decke aufhängt. Ich habe ihn gefragt, was mit den Löchern im Gewölbe geschehen soll, wenn das Gerüst entfernt wird, aber er würdigte mich keiner Antwort. Ich habe Julius vorgeschlagen, dass Giuliano da Sangallo mir ein Gerüst entwirft, das an der Galerie unterhalb der Fenster befestigt wird, aber Il Ruinante hat das abgelehnt. Er sei der Baumeister des Papstes, nicht Giuliano.«
»Du hast dein eigenes Gerüst errichtet«, erinnerte ich ihn, »und bereits mit dem Abschlagen des Sternenhimmels begonnen.«
»Meine Gehilfen aus Florenz sind Idioten«, fluchte er. »Francesco Granacci und Bastiano da Sangallo stellen sich an wie Lehrlinge, die noch nie in ihrem Leben Freskofarbe angerührt haben. Beide sind Maestros!« Er wandte sich ab, ging ein paar Schritte.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher