Der Fürst der Maler
gemeinsam: ihren Stolz und ihre Unnachgiebigkeit. Ein Zusammenstoß dieser beiden Oberbefehlshaber des Papstes schien ebenso unausweichlich wie der Krieg mit Venedig.
Dann donnerten die Kanonen. Am 14. Mai 1509 tobte bei Agnadello in der Nähe von Cremona eine furchtbare Schlacht, die vier Tage dauerte und mit dem Sieg der Verbündeten endete. Herzog Francesco und Kardinal Alidosi eroberten die Romagna und zwangen die Venezianer in die Knie. Der Doge bat den Papst um Frieden, aber die Gewitterwolken über der Lagune waren noch nicht verflogen.
Von Baldassare Castiglione, der mir regelmäßig Briefe von der Front in der Romagna schickte, erfuhr ich von den Auseinandersetzungen zwischen Herzog Francesco und Kardinal Alidosi. Der Gonfaloniere und der Kardinallegat hatten sich während der Schlacht um Ravenna und den Friedensverhandlungen mit Venedig derart zerstritten, dass sie kein Wort mehr miteinander sprachen. Ihr gegenseitiges Schweigen war eine Kriegserklärung.
Papst Julius triumphierte. Die Venezianer boten dem spanischen König, der sich nur widerwillig der Liga von Cambrai gegen Venedig angeschlossen hatte, und Kaiser Maximilian großzügige Zugeständnisse. Julius soll schallend gelacht haben, als der Doge mit verbissenem Gesichtsausdruck erläuterte, dass König Louis XII . keine venezianischen Provinzen erhalten sollte.
Der Spielzug des Dogen war klar: Frankreich sollte aus der Liga von Cambrai entfernt werden! Julius machte den zweiten Spielzug um die Macht in Italien: Er wollte die Franzosen nicht nur aus dem gemeinsamen Bündnis, sondern bei dieser Gelegenheit auch gleich aus Mailand vertreiben.
Im Juni, nach einem ›ash-Shah mat‹ gegen den Dogen von Venedig, kehrte Julius im Triumphzug nach Rom zurück. Aber das Spiel war noch lange nicht zu Ende.
Das Licht war diffus, und ich konnte nicht richtig sehen, obwohl ich die Fenster der Stanza weit geöffnet hatte. Ein leiser Luftzug verwehte den Geruch von frischem Gipsmörtel und geriebenen Farben. Es war früh am Morgen, und die Vögel in den vatikanischen Gärten begrüßten zwitschernd die aufgehende Sonne. Ich war noch allein in der Stanza. Gian Antonio Sodoma würde nicht vor dem Mittagessen erscheinen, während Baldassare Peruzzi dann meist schon in Richtung Villa Chigi unterwegs war.
Am liebsten arbeitete ich früh am Morgen, wenn das Licht noch farblos war und meine Farben klar, wenn die Luft noch kühl war und ich al fresco malen konnte, wie Giulio eines heißen Nachmittags lachend sagte, und nicht al forno – wie in einem Backofen. Es war Juli, und die Sommerhitze war nachmittags wie flüssiges Blei.
In den letzten Wochen hatte ich wie rasend vom Morgengrauen bis Mitternacht gearbeitet, war ohne zu essen ins Bett gefallen, um ein wenig zu schlafen, um mich sprühend vor neuen Einfällen erneut auf das Fresko zu stürzen.
Polidoro hatte am Abend zuvor noch einen Eimer Gipsmörtel gemischt, der über Nacht stehen geblieben war. Ich schleppte den Eimer auf das Gerüst und begann, eine Giornate – ein Tagwerk – zu verputzen. Das Fresko bestand aus insgesamt siebenunddreißig solcher Giornaten. Gio’ hatte vorgestern das gemalte Marmorgewölbe vollendet, und der Putz war getrocknet. An diesem Tag wollte ich Diogenes auf den Stufen malen. Sobald der Gips geglättet war, übertrug ich die Umrisslinien des Philosophen von dem Entwurfskarton auf die feuchte Wand. Dann rollte ich den Karton zusammen und sprang vom Gerüst. Perino hatte mir die Farben bereits gemischt. Ich stieg mit einer Hand voll Pinseln und den Farbgefäßen wieder hinauf.
Ich war hungrig und hoffte, dass Giulio Romano bald erschien. Er war morgens immer der Erste in der Stanza – nach mir. Und oft brachte er mir etwas zu essen aus der Küche meines Palazzo mit: Brot, Oliven und Salami. Ich verließ den Palazzo Santi oft schon im Morgengrauen, um allein und unerkannt in den Vatikan zu gehen. Seit der Fertigstellung und Enthüllung des Evangeliums warteten bereits früh am Morgen unzählige Maestros, um mir ihre Ehrerbietung zu erweisen. Sie umschwirrten mich wie die Motten das Licht einer Kerze. Mein Erfolg und mein Reichtum zogen sie magisch an. Und sie kamen mir zu nah.
Mit schnellen Pinselstrichen malte ich Diogenes’ Gesicht, den kahlen Schädel, die schütteren Haare, den zerzausten Bart. Lange hatte ich überlegt, wie ich den Kyniker darstellen sollte. In seiner Tonne, die ihm als Wohnung diente?
Aus der benachbarten Stanza, wo der Zeichentisch stand und der
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