Der Fürst der Maler
ist kein Disput in der Stoa von Athen, nicht wahr?«
»Nein.«
»Du hast Paulus dargestellt, wie er in Athen vor den griechischen Philosophen von der Lehre Christi spricht. Es ist die Darstellung der siegreichen Bekehrung der Heiden durch das Evangelium, das Wort Gottes.«
Ich schüttelte den Kopf. »Dieses Bild ist weder die Verherrlichung der Philosophie, die es auf den ersten Blick zu sein scheint, noch der Sieg des Christentums über die heidnische Philosophie. Das Bild ist die harmonische Vereinigung der antiken Philosophien mit der christlichen Lehre, Heiliger Vater«, sagte ich mit fester Stimme. »Giovanni Pico schrieb: Philosophia veritatem quaerit, Theologia invenit, Religio possedit – die Philosophie sucht die Wahrheit, die Theologie findet sie, die Religion besitzt sie.«
»Dieses Bild ist dein Credo, dein Glaubensbekenntnis«, sinnierte Julius.
»Ja, das ist es.« Ich hielt seinem Blick stand.
»Du weißt, dass du für dieses Bild dein Seelenheil riskierst? Ich könnte dich dafür exkommunizieren!«, drohte er mir.
»Ja, Heiliger Vater.«
»Nun denn, Raffaello, dann wird man mich mit dir zusammen exkommunizieren. Denn ich möchte, dass du es genau so malst! Als Glaubensbekenntnis.«
Ich wartete oben an der Marmortreppe meines Palazzo, als die ersten Gäste eintrafen. Alessandro Farnese war mit Silvia Ruffini Crispo und seiner Eskorte zu Fuß vom Palazzo Farnese herübergekommen. Er kam die Treppe hoch und umarmte mich. »Herzlichen Glückwunsch«, sagte er. Seine Schwester Giulia Farnese küsste mich auf beide Wangen und lächelte.
Felice erschien am Arm ihres Gemahls Gian Giordano Orsini. Der Conte da Bracciano verneigte sich vor mir. Ich sah ihm an, wie sehr er sich beherrschen musste.
Felice dagegen beherrschte sich nicht. Sie umarmte mich wie eine Schwester und küsste mich auf die Lippen.
Ich antwortete ihr, und sie sah mich überrascht an.
»Ich freue mich«, flüsterte sie, als sie sich aus meiner Umarmung löste.
Worüber?, fragte ich mich. Über die Ehre, die mir zuteil wurde? Oder über unser Wiedersehen?
Dann schnaufte Giovanni de’ Medici die Treppe hinauf. Vor mir fiel der Kardinal zum Spaß auf die Knie, um meinen Ring – Felices Ring – zu küssen. Lachend erhob er sich. »Herzlichen Glückwunsch zu deiner Ernennung zum Scriptor Brevium, Monsignore! Die schwarze Soutane steht dir.«
Verlegen strich ich über die schwere Seide.
Julius hatte mich durch die Ernennung zum Scriptor Brevium offiziell zu seinem Hofmaler mit einem kirchlichen Einkommen gemacht. Und obwohl die päpstliche Kasse durch den Krieg gegen Venedig leer war und das Amt des Scriptors eine ›Spende‹ von zweitausendfünfhundert Dukaten kostete, das Hundertfache des Jahreseinkommens eines römischen Priesters, hatte er mich ernannt, ohne auch nur einen Scudo von mir zu verlangen. Ich dachte an Onkel Bartolomeo Santi, der für mich eine Karriere in der Kirche geplant hatte – bevor ich als Elfjähriger aus Urbino wegging, um zu Pietro Perugino in die Lehre zu gehen. Onkel Bartolomeo war zufrieden: Ein Monsignore war ich nun schon …
Ich ließ meinen Blick durch den Empfangssaal schweifen. In einer Ecke stand Bastiano da Sangallo im Gespräch mit seinem Onkel Giuliano, der sich seit Monaten in Rom aufhielt. Neben ihnen unterhielten sich Andrea Sansovino und Donato Bramante. Ihren weiten Gesten entnahm ich, dass sie wieder einmal über irgendwelche Baupläne für Kirchen sprachen. Die Kardinäle Ippolito d’Este und Francesco Alidosi standen mit dem florentinischen Bankier Bindo Altoviti, einem der reichsten Männer Roms, an den offenen Fenstern und genossen die kühle Luft des Oktoberabends.
In diesem Augenblick kam Agostino Chigi die Treppe hinauf.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er kommen würde. Er lebte zurückgezogen und schlug fast alle Einladungen aus. Er suchte sich seine Freunde ebenso sorgfältig aus wie die kostbaren Edelsteine, die seine Kleidung zierten.
Agostino Chigi war mit vierundvierzig Jahren der mächtigste Mann in Italien, der Bankier von Papst Alexander VI ., Cesare Borgia und Papst Julius II ., der Pächter der römischen Münze und der Capo eines gigantischen Unternehmens mit einer Handelsflotte von über hundert Schiffen, die die Weltmeere zwischen der Neuen Welt und China befuhren. Chigi hatte selbst erklärt, den Umfang seines gesamten Vermögens gar nicht zu kennen – es wachse zu schnell. Doch Chigi war nicht nur der Magnus Mercator Christianus – der größte
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