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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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zu plaudern.
    Ich überquerte den Markt auf der Piazza San Lorenzo, wo gerade die Stände errichtet wurden, und wandte mich vor San Giovanni nach rechts zum Strohmarkt, wo die Barbiere ihre Tische und Stühle aufgebaut hatten und ihre Rasiermesser und Scheren schärften. Santa Maria Novella war nicht weit entfernt. Durch den Kreuzgang des Klosters neben der Kirche, den Paolo Uccello vor fünfzig Jahren mit den Szenen von der Erschaffung des Menschen und der Sintflut ausgemalt hatte, betrat ich Leonardos Bottega.
    Der Maestro hatte seine Werkstatt in einem lichtdurchfluteten Saal des Konvents eingerichtet. Der Standort seiner Bottega war klug gewählt: Der Saal war groß und hell, die hohen Fenster bestanden aus Glas und nicht aus ölgetränktem Pergament oder gewachstem Leinen. Im Sommer ermöglichten die Fenster einen frischen Luftzug, im Winter sorgte ein Kamin für Wärme.
    Die hohen Wände unter dem Kreuzgewölbe waren bedeckt mit farbigen Entwurfskartons für die Kampfszenen der Schlacht von Anghiari, die Leonardo in der Signoria freskieren sollte: sich aufbäumende Pferde, nackte Leiber, gezückte Schwerter, zerbrochene Lanzen. Dazwischen hingen Federzeichnungen von Belagerungsmaschinen, die Skizze eines Flugapparates mit mehreren Flügeln und eines unter Wasser fahrenden Bootes, eines Fahrrades, auf dem man sich schneller als auf einem Esel fortbewegen konnte, Zeichnungen von sezierten Leichen und immer wieder Spiegelporträts von sich selbst.
    Der Saal wurde nicht nur vom Licht der Sonne erhellt, sondern auch durch das Feuer eines brennenden Athanors, des Ofens eines Alchemisten, der niemals verlöschen durfte. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht: Leonardo war ein Alchemist! Seine wissenschaftlichen Forschungen, seine Art, die Kunst der Malerei zu erforschen, seine philosophischen Betrachtungen, die Suche nach dem Leben: das alles waren nur verschiedene Perspektiven auf die ganzheitliche Wissenschaft der Alchemie, der ›hermetischen Philosophie‹ des Hermes Trismegistos.
    Gott hatte die Welt erschaffen, Leonardo schien sie neu erfinden zu wollen, um sie anschließend nachzubauen. Die Welt als Bühne der Selbstinszenierung!
    Er war allein, was selten vorkam, wenn er malte. Meist war er von einem Hofstaat aus Malern, Musikern und Kunstliebhabern umgeben, da er es vorzog, sich während der Sitzungen durch gelehrte Gespräche oder Musik unterhalten zu lassen. Nicht umsonst titulierte man Leonardo in Florenz als ›Fürst von Vinci‹.
    Er beugte sich, in eines seiner Arbeitshefte vertieft, über das Schreibpult. Wie gehetzt jagte die Feder über das Papier. Obwohl er geschliffene Gläser trug, neigte er sich tief über das Papier.
    »Ich bin gekommen«, begrüßte ich ihn.
    Mit einer fahrigen Bewegung riss er sich die Oculi von der Nase, als ob seine Weitsichtigkeit ein Geheimnis bleiben sollte. Seine blauen Augen, die dafür berühmt waren, mit einem einzigen Blick mehr zu sehen als die irgendeines anderen Künstlers in Italien, glitten an mir herab. »Das sehe ich. Ich hatte befürchtet, du hättest Angst bekommen.« Sein Blick glitt bewundernd über meinen Körper. »Zieh dich aus!«, befahl er.
    »Ich verstehe nicht …«
    »Zieh dich aus, und stell dich dort drüben hin!«, befahl Leonardo. »Du wolltest Arbeit, Raffaello. Ich gebe dir Arbeit. Als Modell – ich brauche einen Kämpfer für die Schlacht von Anghiari .«
    »Aber ich bin Maler! Kein Modell!«, protestierte ich. »Ich will in deiner Werkstatt mitarbeiten. Ich will malen!«
    Langsam ging Leonardo um mich herum, um mich mit geneigtem Kopf wie eine Skulptur von allen Seiten zu betrachten. »Du bist perfekt! Hast du Michelangelo für seinen David als Modell gestanden?«
    »Nein! Ich bin Maestro! Ich male, seit ich acht Jahre alt war!«
    Leonardo schien enttäuscht, dass ich mich nicht für ihn ausziehen wollte. Sein Blick streichelte wieder meinen Körper. »Bei wem hast du gelernt? Wer war dein Maestro?«, fragte er schließlich.
    »Mein Vater und Pietro Perugino.«
    »Pietro und ich waren beide Schüler von Andrea del Verrocchio. So wie Sandro Botticelli und Domenico Ghirlandaio.«
    »Ich weiß. Aber Perugino und du, ihr könntet unterschiedlicher nicht sein.«
    »Du hast Recht, Raffaello. Pietro hat die Armut kennen gelernt, und ich lebe wie ein Fürst. Er strebt nach Ehre und Reichtum und trachtet danach, diese so schnell wie möglich zu erreichen, indem er viele Bilder malt und mit einer sich selbst verleugnenden Verbissenheit

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