Der Fürst der Maler
Palazzo und trug Taddeos Kleidung aus Atlas und Hermelin. Ich genoss das Leben in vollen Zügen.
Über mir stürzten sich die Tauben von den Dächern der Palazzi, jagten im Tiefflug durch die schattigen Straßen und schwangen sich wieder in die Himmel hinauf. In der Ferne dröhnte der Donner eines herannahenden Gewitters. Die Luft war so dicht und süß wie geschlagene Sahne. Der Himmel über Florenz leuchtete in einem unwirklichen, mit dem Spatel in dicken Farbschichten aufgetragenen Indigoblau. Ein feiner Pinsel hatte die dunklen Wolken mit einem Hauch von Sfumato und einem zarten Goldrand überzogen.
Vor dem Palazzo Taddei war an einem eisernen Haltering ein Maultier angebunden. Ein Mann in staubiger Kleidung mühte sich mit einer schweren Last, die er vom Rücken des Lasttieres herunterheben wollte.
»Kann ich dir helfen?«, fragte ich, als ich näher gekommen war.
Er fuhr herum. » Va all’ inferno! Geh zur Hölle!«, fauchte er mich an und packte das Bündel, das in dicke Decken gewickelt war, mit beiden Händen, um es sich auf die breiten Schultern zu stemmen.
Ich ignorierte seinen Fluch. »Soll ich dir nun helfen, Buonarroti, oder nicht? Tritt zur Seite!«, befahl ich ungeduldig.
Die ersten Tropfen fielen auf das Steinpflaster der Straße. Der Donner grollte wie Cesare Borgias Kanonen, die vor zwei Jahren Urbino beschossen hatten.
Gemeinsam hoben Michelangelo und ich die Last vom Maultier, das nervös zu tänzeln begonnen hatte, und trugen sie die Treppe hinauf ins Piano Nobile des Palazzo.
»Es ist schwer!«, schnaufte ich, als wir in Taddeos Studierzimmer angekommen waren und das Bündel abgesetzt und gegen die Wand gelehnt hatten. »Was ist das? Eine Grabplatte?«, fragte ich scherzhaft.
»Dein Grabstein, Santi!«, sagte Michelangelo tonlos. Meinem Blick wich er aus.
»Ein Grabmal für mich vom großen Maestro Michelangelo?«, fragte ich sarkastisch.
»Nicht für dich, Santi! Sondern für dein bescheidenes Talent! Requiescat in pace – Möge es in Frieden ruhen!«
»Ich will es sehen!«, insistierte ich und zog die Decke vom Marmor. Sprachlos trat ich einen Schritt zurück. Und noch einen. Ich ließ mich auf den Stuhl vor Taddeos Schreibtisch fallen und starrte den Tondo, ein Rundbild aus weißem Marmor an.
Bei einem Relief sind die herausgearbeiteten Figuren nie vollplastisch, sondern bleiben immer mit dem Marmor, aus dem sie geschlagen wurden, verbunden. Wie der Mensch immer mit dem verbunden bleibt, der ihn aus einer Hand voll Staub erschaffen hat. Der Bildhauer muss die Illusion der Körperlichkeit, der Sinnlichkeit, der Lebendigkeit mit wenigen Schlägen seines Eisens erschaffen. Dieser scheinbar unvollendete Tondo war mehr als ein Relief. Er war … eine Skizze in Stein! Ich hatte so etwas noch nie gesehen.
Das Antlitz der Madonna war im Profil flach aus dem Stein herausgemeißelt, der Faltenwurf ihres Kleides in kräftigen, klaren Umrissen mit dem Punktiereisen gearbeitet und hob sich weiß und glatt vom unvollendeten, mit dem Zahneisen aufgerauten Hintergrund ab. Das Bambino Gesù auf ihrem Schoß war tief ausgemeißelt und wirkte plastisch … lebendig. Der kleine Giovanni Battista hingegen hob sich kaum ab vom rauen Marmor, verschmolz beinahe mit dem Stein, aus dem er herausgemeißelt worden war. Michelangelos grobes Zahneisen hatte der runden Marmorplatte eine unglaubliche perspektivische Tiefe verliehen.
»Du bist sprachlos, Santi?«, fragte Michelangelo, als er mir ein Glas Vino Santo reichte, das er für mich eingegossen hatte. »Darauf trinke ich! Ich glaube nicht, dass das oft vorkommt!«
Ich ignorierte seine Bemerkung und das Weinglas, erhob mich und trat nahe an den Tondo heran. Mit der Hand strich ich über den geglätteten Marmor im Antlitz des Jesuskindes. »Es ist eine Huldigung an das innere Ringen«, flüsterte ich.
»Was?«, fauchte er.
Ein Blitz zuckte über den indigoblauen Himmel, gefolgt von einem gewaltigen Donnerhall.
»Sieh doch selbst, Buonarroti! Giovanni hat beide Hände nach Gesù ausgestreckt. Der Täufer will den Erlöser auf seine Aufgabe vorbereiten. Er will sagen: ›Du, der du nach mir kommst, bist stärker als ich‹! Evangelium des Markus, Kapitel 1, Vers 7.«
»Er will es sagen?«, fauchte Michelangelo.
»Er sagt es nicht. Er sagt stattdessen: ›Wage es nicht, dich mit mir zu messen, denn ich bin der Messias‹!«
Michelangelo starrte mich hasserfüllt an. »Und was sagt der Erlöser darauf?«
»Er sagt: Du hast die Menschen mit
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