Der Fürst der Maler
zu nah. Mit Michelangelo hatte er ohnehin bereits vor Monaten über den Aufstellungsort des David gestritten. Michelangelo beschimpfte Pietro öffentlich der Selbstimitation und der Unfähigkeit zur Originalität. Anschließend beschuldigte Pietro mich, ich hätte mich mit Michelangelo gegen ihn verbündet.
Und als Michelangelo im Dezember von Piero Soderini den Auftrag erhielt, die rechte Wand des Ratssaals der Signoria mit der Schlacht von Cascina zu freskieren, war Leonardo gekränkt, der seit Monaten an den Entwürfen der Schlacht von Anghiari arbeitete. Kurz vor Weihnachten warfen sich Leonardo und Michelangelo auf der Piazza della Signoria den Fehdehandschuh vor die Füße. Michelangelo bezichtigte Leonardo nicht ganz zu Unrecht, ständig Dinge anzufangen, die er nicht zu Ende führen könnte. Er spielte damit offensichtlich auf das Reiterstandbild des Herzogs Francesco Sforza von Mailand an, das Cavallo, das Leonardo jahrelang erfolglos versucht hatte, in Bronze zu gießen. Außerdem erinnerten ihn die Entwurfskartons der Schlacht von Anghiari an Paolo Uccellos Schlacht von San Romano. Das Wort ›Imitation‹ hing in der Luft, schwer wie eine Gewitterwolke über den Bergen von Fiesole. Als Leonardo dann von Piero Soderini vorgehalten wurde, sein Spesenkonto zu überziehen, ohne einen Pinselstrich im Großen Saal ausgeführt zu haben, lieh ich dem tobenden Leonardo meine fünfhundert Fiorini, damit er seine Schulden bei der Republik Florenz bezahlen konnte.
Meine enge Vertrautheit mit Leonardo brachte Michelangelo endgültig gegen mich auf. Er war der Erste, der das Schweigen zwischen uns brach. Während unserer Wortgefechte hätte ich beinahe die Verschwörung vergessen.
Hin und wieder besuchte Angelo Doni Taddeo in seinem Kontor, manchmal blieb er zum Essen. Doch sprachen sie je über etwas anderes als Geschäfte? Taddeo, dem halb Florenz zu gehören schien – unter anderem ein großer Teil der Geschäftsanteile von Angelos Handelsunternehmen –, legte sich im Dezember mit dem Bankier Agostino Chigi aus Siena an. Chigi wollte in Florenz eine Filiale seiner Bank eröffnen. In seinem Imperium ging die Sonne nie unter – es reichte von der Neuen Welt bis nach Indien und China. Agostino Chigi, der reichste Mann der Welt und Bankier des Papstes, hatte eine Florentiner Bank durch Gerüchte über deren Zahlungsunfähigkeit derart ruiniert, dass er sie günstig hätte übernehmen können. Doch Taddeo hatte sich den Spaß erlaubt, die Bank selbst zu kaufen und so Chigi herauszufordern. Der Machtkampf zwischen Taddeo Taddei und Agostino Chigi war wochenlang Gesprächsthema in Florenz.
Felice hatte meine in Petrarcas Sonetten versteckte Nachricht nicht beantwortet. Hatte sie sie überhaupt gelesen? Als in den ersten Tagen des neuen Jahres während der Messe in Santa Maria del Fiore die Nachricht verlesen wurde, Papst Julius sei an Weihnachten in San Pietro im Vatikan nur knapp einem Attentat entkommen, atmete ich erleichtert auf. Felice hatte die Nachricht verstanden! Aber warum schrieb sie nicht?
Je länger ich über meine Beziehung zu ihr nachdachte, desto verrückter erschienen mir die Hoffnungen, die ich mir machte. Konnte sein, was nicht sein durfte? Sie war die Tochter des Papstes, eine Contessa – und ich ein unbekannter Maler aus Urbino, ein Niemand.
Ende Januar war ich zu der festen Überzeugung gekommen, dass Felice mich vergessen hatte.
Schließlich begann ich widerstrebend mit dem Bild der Madonna, für das Gian Giordano Orsini teuer bezahlt hatte. Das Malen fiel mir schwer, nicht nur wegen der eisigen Kälte in meiner Werkstatt, sondern auch wegen der Kälte in mir selbst. Ich malte Felice als Madonna mit dem Jesuskind auf ihrem Arm. Sie sah mich nicht an, hielt ihren Blick gesenkt wie eine Casta Diva. Sie hüllte sich in einen Mantel des Schweigens wie in den blauen Schleier, den ich um ihre Schultern legte.
Ein Maler muss in seinem Bild drei Dinge mit Formen und Farben, Blicken und Gesten darstellen: die Person und den Zustand ihres Geistes. Und seinen eigenen.
Leonardo, der die Madonna entzückt betrachtete, als er mich eines Tages im Palazzo Taddei besuchte, lächelte geheimnisvoll, als er sie erkannte.
»Die Kunst der Malerei unterscheidet sich nicht von der Kunst der Liebe«, dozierte er. »Beide müssen in Theorie und Praxis erlernt werden, um sie zur Vollendung zu bringen. Aber im Gegensatz zu deiner wunderbaren Malerei führt deine Art zu lieben hinab ins Inferno!«
»Was soll ich
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