Der Fürst der Maler
mir.
»Ich habe nicht vor, in die Schlacht zu ziehen. Was soll ich mit Helm und Harnisch? Mich gegen die himmlischen Heerscharen wehren?«, fauchte ich wütend.
»Auch Engel können fallen, Raffaello! Als ich vor einigen Jahren bei meinem Flugversuch abgestürzt bin, habe ich mir drei Rippen gebrochen. Und beinahe das Genick.«
»Helm und Harnisch sind zu schwer für den Ornitottero «, wandte ich ein. »Vielleicht verhindert die Rüstung, dass ich mir die Knochen breche, falls ich abstürze. Aber mit dem Gewicht des Harnischs werde ich ganz sicher fallen.«
Sandro Botticelli und Andrea Sansovino, die meine Launen den ganzen Weg von Florenz bis Fiesole geduldig ertragen hatten, warfen Leonardo warnende Blicke zu, sich nicht weiter mit mir auf eine unsinnige Diskussion über die Sicherheitsvorkehrungen für diese Himmelfahrt einzulassen.
Andrea schnallte mich am Ornitottero fest. Dann breitete ich beide Arme aus, damit er sie an den Verstrebungen der Flügel festbinden konnte. Für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich wie Christus am Kreuz. Ich blickte den Abhang hinunter auf die Gesellschaft, die sich mit Musik und Tanz amüsierte.
Leonardo trat vor mich hin. »Bist du bereit?«
»Ja. Nein. Geh mir aus dem Weg!«
Ich neigte die Schwingen in den Wind, der von Westen her wehte. Dann schloss ich die Augen, bat Gott um Vergebung für meinen Leichtsinn und rannte los.
Mit langen Schritten lief ich den Abhang hinunter. Das hölzerne Gestell bohrte sich bei jedem Schritt in meinen Rücken, die Schwingen vibrierten und drohten, mir beide Arme zu brechen. Und anstatt mir Auftrieb zu geben, wurde es mit jedem Schritt schwerer. Immer schneller rannte ich den Abhang des Monte Céceri hinunter. Von unten hörte ich Rufen und Lachen. Taddeo und Baccio hatten sich erhoben und winkten mir zu.
Ich konzentrierte mich auf den Weg, der vor mir lag. Der Hang wurde immer steiler, bis er hinter einem vorspringenden Felsen plötzlich senkrecht nach unten abfiel. Ich lief genau auf diese Steilklippe zu. Und dann sprang ich ins Ungewisse.
Es war ein unbeschreibliches Gefühl der Schwerelosigkeit! Und es dauerte nur einen Augenblick, dann begann ich zu fallen. Mit beiden Armen änderte ich den Winkel der Schwingen und begann sechshundert Ellen über dem Boden zu gleiten.
Es war ein fantastischer Anblick! Die Menschen unter mir waren winzig … so unbedeutend! Wie hatte der Mensch je auf die Idee kommen können, er sei das Maß aller Dinge?
Lautlos glitt ich durch den Himmel über Fiesole. Die Schwingen des Ornitottero zitterten leicht im eisigen Wind. Das Ruder reagierte auf jede Bewegung meiner Beine, und so steuerte ich nach Süden. Aus meiner Perspektive konnte ich die mächtigen Stadtmauern und die Türme von Florenz erkennen, die Domkuppel und den Campanile, winzig wie Spielzeug. Ich verlor an Höhe und drehte wieder nach Norden.
Die warme Luft an den Hängen des Monte Céceri riss mich nach oben in den Himmel. Es war ein herrliches Gefühl! Ein Falke schwebte eine Weile neben mir im Aufwind. Ich beobachtete seine Bewegungen und folgte ihm. In weiten Kreisen stiegen wir in den Himmel hinauf, immer höher. Die Welt unter mir wurde kleiner.
›Es steht dem Menschen frei, sich durch seinen eigenen Willen in die Welt des Göttlichen zu erheben‹, hatte Giovanni Pico della Mirandola geschrieben. Und ich glaubte daran!
Je höher ich stieg, desto kälter wurde es. Ich zitterte und fror. Ich verließ die Thermik und segelte in einem weiten Bogen über die toskanische Landschaft hinweg. Je länger ich flog, desto gewagter wurden meine Flugmanöver. Einmal stellte ich die Flügel senkrecht und flog eine enge Kurve. Ein anderes Mal veränderte ich den Winkel und ging in einen Sturzflug über, den ich nur mühsam wieder unter Kontrolle bringen konnte. Ich hatte an Höhe verloren und glitt in hundert Ellen Höhe über den Boden.
Dann geschah es! Eine Windbö verfing sich in den Schwingen, stellte sie auf, und der Luftwiderstand, auf dem ich wie auf Wasser dahingeglitten war, riss ab. Wie ein Stein fiel ich in die Tiefe. Erst kurz über dem Boden konnte ich mich wieder abfangen. Viel zu rasant flog ich über die Wiese, viel zu schnell, um im Laufen die Geschwindigkeit zu bremsen. Ich blieb mit einem Fuß an einem Felsen hängen, stolperte und überschlug mich mit dem Ornitottero.
Benommen blieb ich auf dem Rücken liegen, die Schwingen ausgebreitet wie die eines gefallenen Engels.
Als ich wieder zu mir kam, beugte sich Eleonora
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