Der Fürst der Maler
Neues erschaffen will?«
Albrecht hatte gelacht. »Sich an jemandem wie Giovanni Bellini zu messen heißt, die Demut zu verleugnen, und einem Vorbild, einem Ideal nachzustreben. Ein Mensch wie du, Raffaello, kann niemals demütig sein – magst du deinen Ehrgeiz auch noch so gut hinter deinem Streben nach Perfektion verstecken. Das Streben nach der Vollkommenheit steht deiner Demut im Weg.«
»Ich strebe Giovanni Bellini nicht nach, Albrecht. Ich will nicht malen wie er«, hatte ich geantwortet. »Diesen Fehler habe ich unzählige Male gemacht: Zu Anfang, in Urbino, habe ich gemalt wie Timoteo Viti, später in Perugia wie Pietro Perugino, in Siena wie Bernardino Pinturicchio, in Florenz wie Leonardo da Vinci.
Ich will nicht malen wie Giovanni Bellini – ich will etwas schaffen, was es bisher noch nie gegeben hat. Madonnen, so lebendig, dass sie von Michelangelo gemalt sein könnten, mit Fra Bartolomeos heiligem Ernst und Peruginos Liebenswürdigkeit – und im Hintergrund toskanische Landschaften mit Leonardos Sfumato. Und das alles in den leuchtenden venezianischen Farben von Giovannis Palette!
Ich will die Menschen nicht malen, Albrecht, ich will sie zum Leben erwecken. Ich studiere die anderen Maler, deren Skizzen und Farben, um zu lernen, um meinen Geist zu schulen. Ich werde mich nie wieder einem einzigen Führer durch das Inferno anvertrauen.«
»Du wirst nur langsam vorankommen, wenn du dich keinem Führer anvertraust«, hatte Albrecht angemerkt. »Du wirst Pfade gehen, die nirgendwohin führen, du wirst Umwege gehen …«
»Ich fürchte mich nicht vor dem langsamen Vorwärtsschreiten, sondern nur vor dem Stehenbleiben.«
»Und ohne Führer wirst du sehr einsam sein im Inferno.«
»Ich fürchte mich nicht vor der Einsamkeit, Albrecht.«
»Fürchtest du dich vor überhaupt etwas?«
»Nur vor dem Scheitern«, hatte ich gesagt.
Ich starrte in den Himmel über Venedig.
Doch, ich fürchtete mich vor der Einsamkeit. Jeden Menschen, den ich liebte, musste ich auf meinem Weg zurücklassen. Meine Mutter starb, als ich acht Jahre alt war, mein Vater wenig später. Mit meinem Maestro Pietro Perugino hatte ich mich zerstritten. Felice wurde mir nach nur einer Nacht aus den Armen gerissen. Eleonora hatte meinen besten Freund geheiratet. Und Francesco hatte mich aus Urbino verbannt. Wie sehr ich mich vor der Einsamkeit fürchtete!
»Du wirst noch zu Lebzeiten heilig gesprochen«, wiederholte Albrecht, als ich nicht antwortete. »Du gehst deinen Weg allein, Raffaello! Und doch scheint dein einsamer Weg zum Trampelpfad deiner Schüler zu werden: ›Und da sprach er zu ihnen: Kommt und folgt mir nach! Ich werde euch zu meinen Schülern machen. Sogleich ließen sie alles stehen und liegen und folgten ihm nach. Sie sagten: Rabbi, Rabbi lehre uns …‹«
»Giovanni da Udine hat mich nicht Rabbi genannt«, korrigierte ich ihn.
Albrecht hatte mir offenbar noch immer nicht verziehen.
Der neunzehnjährige Johanan ben Sacharja, der sich Giovanni da Udine nannte, hatte an diesem Morgen an das Tor des Fugger-Palastes geklopft, in dem Albrecht und ich wohnten, und nach mir gefragt. Er hatte gehört, dass ich mich in Venedig aufhielt, und war zu Fuß von Udine in die Serenissima gekommen, um mein Schüler zu werden. Er hatte einige Jahre bei Maestro Giorgione in Venedig gelernt, bevor er nach Udine zurückkehrte. Ich war gerührt von der Verehrung, die er mir entgegenbrachte, und hatte ihn als Lehrling aufgenommen.
»Er ist Jude«, sagte Albrecht vorwurfsvoll.
»Na und? Gott schuf alle Menschen nach seinem Bild, auch die Juden. Buch der Genesis Kapitel 1, Vers 27. Sagte nicht Gott selbst, dass Er kein Volk einem anderen vorziehen wolle? Lies nach beim Propheten Amos! Und im Übrigen: Jesus, Gottes Sohn, war auch ein Jude.«
Zugegeben, mein Glaube hatte seit der Lektüre von Giovanni Pico della Mirandolas Über die Würde des Menschen ungewöhnliche Formen angenommen. Wie Giovanni Pico hatte ich mich entschieden, nicht auf die Worte eines Einzelnen zu hören, sondern alle Schriften zu lesen und alle Lehren anzuerkennen. So wie mich Giotto und Masaccio die Perspektive lehrten, so lernte ich – wie zuvor bei Platon und Aristoteles – in den Büchern von Erasmus von Rotterdam, beim Juden Leo Hebraeus und beim Muslim Abu Ali Ibn Sina eine andere Art der Perspektive, der Weltanschauung. Was war denn der Glaube anderes als eine Art der geistigen Perspektive?
Albrecht schnappte nach Luft. »Den Juden ist es verboten, den
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