Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Versteckspiel hat ein Ende. Mehr noch erhalten sie von mir ein Geschenk, das kein anderer ihnen geben kann.“
Die Situation war gefährlicher, als sie vorhergesehen hatte. Lange Jahre hatte sie Mica für den von ihm erlassenen Kodex verachtet. Seitdem hatte sie über Wochen unter Sterblichen geweilt und sie aus unmittelbarer Nähe erlebt. In Postkutschen, auf dem Schiff, in Herbergen. Sie waren überall und besaßen allein durch ihre Masse ausreichend Schlagkraft, um das alte Volk auszulöschen. Branwyns Größenwahn forderte den Untergang der Ewigen heraus. Sie verbarg ihre Beunruhigung hinter einem hochmütigen Lächeln.
„Das klingt natürlich fabelhaft, doch muss es ein sehr außergewöhnliches Geschenk sein, damit sie dich zum Goldenen machen. Darüber hinaus willst du dir eine Königskrone aufsetzen. Ich fürchte, du hast dich übernommen, Branwyn.“
Blitzartig packte er ihre Schultern und bohrte die Fingerkuppen in ihr Fleisch. Der feste Glaube an seine Allmacht fegte sein Misstrauen beiseite. Ein Redeschwall brach über sie herein.
„Ich lasse einen Mythos wahr werden, meine dunkle Taube. Sein Licht wird unsere Welt verändern und uns zu Herrschern machen. Wir werden Nachkommen zeugen, die alles überstrahlen, denn sie werden nicht nur über unser Volk herrschen, sondern über die ganze Welt. Der Spiegel der Sonne ist unser. Bekenne dich zu mir, und du wirst an meiner Seite die goldene Königin sein.“
Jetzt fehlte lediglich noch eine Angabe, wo er den Talisman verwahrte. Bevor sie ihm etwas entlocken konnte, umschlang er ihre Taille und presste sie an sich. Gegenwehr war unmöglich. Seine Arme waren hart wie Eisen und nagelten sie an seinen Körper. Ihr Atem wurde knapp. „Ich habe vom Spiegel der Sonne gehört“, hauchte sie. „Bevor ich dir meine Zustimmung gebe, will ich ihn sehen.“
„Schenke mir dein Blut und ich zeige ihn dir, mein dunkles Täubchen.“
Er musste seinen Blutquellen einen Gedanken gesandt haben. Nackte Sohlen platschten auf den Stein, als sie aus dem Keller rannten. Ein Mund drückte sich feucht in ihre Halsbeuge. Der Abscheu vor dieser Berührung traf sie mit ungeahnter Wucht. Branwyn war ein Meuchler, ein Verräter und ein Irrsinniger. Als seine lange Zunge über ihren Hals leckte, stemmte sie sich gegen seine Brust. Der Biss seiner Fänge war ein Schock. Das Blut einer Lamia war ein seltenes Geschenk, das ausschließlich ihren Nachkommen vorbehalten war. Branwyn setzte sich darüber hinweg. Anstatt ihre Halsschlagader zu perforieren, rissen seine Fänge tiefe Löcher hinein, aus denen ein Springquell ihres Blutes in seinen Mund sprudelte. Der Schmerz zog sie in einen Abwärtsstrudel.
Erst jetzt erfuhr sie, was es bedeutete, seines Blutes beraubt zu werden, doch während sie ihren schlafenden Quellen lustvolle Träume gebracht hatte, setzte Branwyn auf Grausamkeit und Pein. Je schneller ihr Herz schlug, desto mehr Blut schwappte in seinen Mund. Mehr als er schlucken konnte. Warm rann es an ihrem Hals hinab. Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen ihn, doch ihr Widerstand ließ ihn noch grausamer zubeißen. Ein Ring aus Schwärze kroch auf sie zu. Er wollte ihren Tod. Nichts anderes hatte er im Sinn gehabt, seit er sie hereingelassen hatte. Sie hatte seinen Wahnsinn unterschätzt.
Aus weiter Ferne drang ein Geräusch an ihr Ohr. Jäh wurde sie herumgewirbelt und prallte mit dem Rücken gegen Branwyns Brust. Blut nässte ihren Hals, floss über ihr Dekolleté und versickerte im Stoff ihres Kleides. Er hatte die Bisswunden nicht versiegelt. Der Keller und die Säulen kippten zur Seite. Sie prallte am Boden auf, doch das war ihr nur bewusst, weil die Steine ihren Augen ganz nah waren. Ihr Körper war bereits taub. Schritte. Stimmen. Ein Johlen. Dann ein Aufschrei. Etwas klirrte zu Boden. Klingen. Ihre Wange lag in einer Blutlache. Eine Raubkatze rannte auf sie zu, setzte über sie hinweg und verschwand. Ein Jaguar in einem Keller?
Sie halluzinierte. Finsternis senkte sich über sie. Sie währte nur kurz, und als sie sich hob und sie ihre Umgebung wieder deutlich vor sich sah, wühlte ein schmerzhaftes Nagen durch ihren Magen und hob sie auf Hände und Knie. In ihr war ein alles verzehrender Hunger nach Blut. Eine unersättliche Gier, die ihr die Stärke verlieh, sich aufzurichten. Sie stemmte sich schwankend auf die Füße und sah sich um.
Branwyn kämpfte gegen einen Mann in schwarzer Kleidung. Sie kannte ihn. Wäre ihre Gier nach Nahrung weniger gewaltig, dann hätte
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