Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
zurück.“ Mit dem Zeigefinger streichelte er über ihre Wange. Ein Schauder des Ekels kroch über ihren Rücken. Entschieden schob sie seine Hand beiseite. „Für Vertraulichkeiten ist es etwas früh. Zunächst erwarte ich Antworten.“
Mit einem leisen Auflachen fiel er einen Schritt zurück und musterte sie abwägend. „Mich würde interessieren, wie du zu mir gefunden hast.“
Die Kälte in ihr wurde zu einem undurchlässigen Panzer, der letzte Zweifel an ihrem Vorgehen erstickte. Keine seiner Fragen hatte sie überrascht. Sie war auf alles vorbereitet. „Weshalb sollte ich dir meine Geheimnisse anvertrauen, solange du die deinen für dich behältst?“
Es gelang ihr, einen Ausdruck der Langeweile auf ihre Miene zu zaubern, während sie nun selbst um die Säulen herumspazierte. Die Sterblichen zitterten vor Kälte. Direkt vor ihnen blieb sie stehen. Die dünnen Lederriemen ließen sie wie willenlose Marionetten wirken. Branwyn hatte ihnen Grausamkeiten auferlegt, sie durch Lust und Schmerz gefoltert, bis der eigene Wille getilgt war. Es verlieh dem Geschmack ihres Blutes eine bittere Note, die von sehr wenigen Vampiren geschätzt wurde. Unter ihrer Zunge setzte das übliche Prickeln ein.
Sie befand sich mit vier Sterblichen und einem wahnsinnigen Vampir in einem Keller. Einzig Grishan wusste, wo sie war. Natürlich würde er es Mica sofort mitteilen, sobald er erwachte. Doch wenn er ihr zu Hilfe eilte, wäre sein ganzer Plan dahin. Es würde keine Entlarvung geben, sondern einzig einen Großmeister, der nach dem Verständnis der Abordnung einen Vampir ermordet hatte. Zeigte er den Kristall, um das Attentat auf ihn zu untermauern, käme es zu einem Aufruhr. Sie musste den Spiegel der Sonne an sich bringen, ehe Mica eintraf. Sobald er ihn besaß, würde er den Rest ihr überlassen. Sie würde es meistern, dessen war sie sicher.
„Dein Hort schenkt mir keine Zuversicht, Branwyn. Womit willst du dein Versprechen wahr machen? Deine Königin sollte ich werden. Offenbar war das lediglich Prahlerei. Ich beginne zu bereuen, dass ich dich aufgesucht habe.“
Es war die ungeschönte Wahrheit. Bei allen Überlegungen wäre sie in diesem Moment überall lieber gewesen als in diesem Keller.
„Schließe dich mir an und du wirst Königin an meiner Seite. Nach deinen Worte zu schließen, ist dein Bruder erloschen. Durch meine Hand. Ich bin von nun an der Goldene.“
Stumm zählte sie bis drei. Dann warf sie den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus. Es hallte von den Wänden wider. So hätte jede Lamia reagiert. Nun, vielleicht nicht jede. Ihre Mutter hätte Branwyn bereits totgebissen und ihm jedes Glied einzeln ausgerissen. „Dir soll gelungen sein, was andere schon vor langer Zeit aufgaben? Es gibt keinen Vampir im alten Volk, der das Dasein meines Bruders beenden könnte.“
Hass verzerrte Branwyns Züge zu einer Fratze, die ihn jeder Schönheit beraubte.
„Er drohte dir an, zurückzukehren, doch das ist nicht geschehen. Weil ich ihm zuvorkam. Er ist erloschen!“
Jede Lamia besaß ein eigenes Talent. Berenike beherrschte, den Eindruck des Schwebens zu erwecken. Der weite Rock erleichterte ihr die Sinnestäuschung. Branwyn nahm eine Lauerhaltung ein und verfolgte ihren Weg durch den Keller mit leicht gespreizten Armen. Jederzeit auf einen Angriff gefasst. Unbeirrt schwebte sie auf ihn zu.
„Du stehst vor einem tödlichen Problem, Branwyn. Sobald meine Mutter von deiner Bluttat erfährt, wird sie dich in kleine Scheiben schneiden und auf eine Leine ziehen, damit alle sehen können, was demjenigen widerfährt, der ihr den geliebten Sohn genommen hat.“
Bei ihrer Schilderung nahm sein Gesicht die Farbe geronnener Milch an. Die Haut spannte sich über seinen Knochen, als wollte sie jeden Augenblick abplatzen. Wie jeder andere fürchtete er Selene. „Selbst die älteste Lamia wird sich den Fakten beugen.“
„Daran hege ich erhebliche Zweifel. Sie ist nur eines deiner vielfältigen Probleme. Andere Vampire werden vortreten, um den Titel des Goldenen zu beanspruchen. Vielleicht sollte ich mich in Geduld üben und auf den Ausgang der Duelle warten. Oder gibt es einen guten Grund, weshalb ich mich für dich entscheiden sollte?“
„In der Tat, den gibt es“, antwortete er mit einem breiten Grinsen, das seine Fänge entblößte. „Was ich dem alten Volk anbiete,wird jeden Zwist beenden und uns vereinen. Der Kodex, der das Leben der Quellen bewahrt, wird außer Kraft gesetzt. Unser
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