Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Ihr Gift blieb verloren, sonst wäre Branwyn bereits erloschen. Trotzdem spürte Juvenal, dass in ihm etwas zerbarst.
Er liebte eine blutrünstige Mörderin.
Die Schreie des Vampirs wurden schwächer. Es ging auf sein Ende zu.
Plötzlich schnellte jemand vor, stürzte sich auf Branwyn und Berenike. Mica bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die ihn zu einem hellen Streifen im Dämmerlicht der Kerzen machte. In langen Sätzen kam Grishan angesprungen und drückte sich gegen Juvenal. Das pelzige Gewicht machte es schwer, auf die Füße zu gelangen. Er griff in das kurze, gefleckte Fell, schob Grishan von sich und stand auf. Nur kurz war er abgelenkt gewesen, doch Mica hatte die Situation unterdessen für sich entschieden. Mit gespreizten Gliedern lag Branwyn bäuchlings am Boden. Mica hatte seiner Schwester die Hand in den Nacken gelegt und sein Gesicht an ihrem Hals verborgen. Juvenal holte Luft, um laut aufzubrüllen, als ihm bewusst wurde, dass Mica nicht an ihrem Blut interessiert war, sondern die tiefen Bisswunden an ihrem Hals mit seinem Speichel versiegelte und die Heilung vorantrieb.
Mit schlaff herabhängenden Armen ließ sie es geschehen und drehte den Kopf. Mund und Kinn waren umrahmt von dunklem Rot. Schwarze Mandelaugen richteten sich auf ihn. Unmenschlich. Wenn überhaupt eine Emotion darin zu finden war, so war es blanke Mordlust. Stumm sah sie ihn an, ohne ein Zeichen des Erkennens. Er konnte es kaum ertragen. Sein Brustkorb brannte. Seine Seele zerfiel zu Asche. Wo war sie, die Frau, die er in den Armen gehalten hatte?
Mica trat zurück. „Nike?“, fragte er besorgt. „Sag etwas. Irgendetwas.“
Ihre Miene wurde leer. Dann leuchteten ihre Augen auf. „Ich erinnere mich an seinen Namen. Juvenal“, stammelte sie, verdrehte die Augen und verlor die Besinnung.
Mica fing sie auf und ließ sie behutsam zu Boden gleiten. Ihr Kleid war über und über mit Blut beschmiert.
Grishan drückte sich an Juvenals Beine. Als könnte er Trost darin finden, streichelte er durch das gefleckte Fell.
„Herzen kannst du deinen Pflegesohn später“, fuhr Mica ihn an. „Komm endlich her und hilf mir.“
Auf weichen Beinen ging Juvenal näher heran. Sie war tot. Er fiel auf die Knie, hob ihren Oberkörper auf seine Schenkel und umarmte sie. Ihr Körper war noch warm, doch ihr Gesicht wurde wächsern. Schon einmal hatte er eine tote Liebe in den Armen gehalten. Zu viele Tote, zu viele Brüche in seinem langen Leben. Weshalb hatte er geschwiegen? Drei Worte hätten ihren Tod verhindert. Sie wäre niemals hierhergekommen. Kühl und beherrscht drang Micas Stimme durch seinen Gram.
„Sie hat viel Blut verloren. Bring sie zum Jagdhaus und bleib bei ihr. Wenn es kritisch wird und ich noch nicht da bin, musst du ihr von deinem Blut geben, Juvenal. Verstehst du mich?“
„Sie lebt?“, entfuhr es ihm ungläubig. Er spürte keinen Herzschlag, keinen Atem.
Mica nickte. „Setz dich endlich in Bewegung, Garou. Sie muss hier raus.“
Ja, das musste sie. Er würde sie fortbringen von diesem Ort des Entsetzens. In Sicherheit. Sacht hob er sie hoch und ging mit ihr auf den Aufgang zu. Ihm war eine neue Chance gegeben und er würde sie nutzen. Wenn es sein musste, sollte sie all sein Blut haben. Hauptsache, sie blieb am Leben.
Grishan pirschte neben ihm her. Juvenal blickte auf ihn hinab. Hölle, er hatte noch nie eine so große Raubkatze gesehen. Und sie würde noch größer werden, denn an den Ohren spreizte sich noch ein wenig Flaum eines Jungtiers. Juvenal wandtesich noch einmal um und fand Mica auf den Knien neben Branwyn.
„Grishan ist … Was ist er eigentlich?“
„Ein Jaguar“, antwortete Mica gedankenverloren und legte die Hand auf Branwyns Hinterkopf. „Verschwindet jetzt. Ich kümmere mich um Branwyn.“
Also war dieses Schwein noch am Leben. Juvenal stellte keine weiteren Fragen. Branwyn war ihm einerlei. Ohne zurückzublicken, verließ er das Haus. Er hatte Berenike schon einmal getragen, während sie ohne Bewusstsein war. Damals war sie eine lästige Bürde gewesen. Vorsichtig bettete er ihren Nacken in seine Armbeuge und schritt langsam aus, um ihr keine weiteren Schmerzen zuzufügen. Grishan trabte geschmeidig voraus. Ein Raubtier, das Juvenal bis zu den Hüften reichte. Bei allen Höllenhunden, wer hätte jemals an so etwas gedacht? Sein Hüftschwung war alles andere als verwerflich und ergab endlich einen Sinn.
„Und ich dachte die ganze Zeit, dass du Männer liebst“, bemerkte Juvenal
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