Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
machen!“
Blut quoll neben den Zacken hervor, versickerte im Waldboden, färbte das feuchte Laub in dunkles Rot. Juvenal biss hart in seine Unterlippe, bis er sein eigenes Blut schmeckte. Sancho sah der Wahrheit gefasst entgegen, und er musste es ebenfalls.Fest umfasste er das Eisen und bog das Scharnier auseinander. Die Zacken lösten sich langsam aus dem Fleisch. Sancho stöhnte auf und verdrehte vor Schmerz die Augen. Ohne darauf zu achten, ob er sich selbst verletzte, setzte Juvenal die nackten Füße auf die Dornen, hielt die Falle offen und hob Sanchos Bein an. Er lies es behutsam zu Boden sinken. Blut floss über seine Hände. Abermals schnappte das Falleisen laut zu und sprang durch den mächtigen Druck des Scharniers über den Waldboden. Sancho konnte es lediglich mit dem Hinterlauf berührt haben, und dabei war es wie ein metallenes Gebiss in seinen Schenkel gesprungen.
Juvenal sank auf die Knie und hob den Oberkörper seines treuen Dieners an. Er schlang die Arme um ihn. Sancho zitterte und atmete flach. In einem steten Strom floss das Leben aus ihm heraus, wurde von den verstreuten Kleidern aufgesaugt. Juvenal war außerstande, es aufzuhalten. Einzig halten konnte er seinen Omega und ihm das Sterben erleichtern, indem er ihn sacht wiegte.
Sanchos Atem strich schwach über seine bloße Brust. „Schwört mir …“
„Alles, was du verlangst.“
„Gebt Euch keine Schuld an meinem Tod, Herr. Es war ein Unfall.“
Eine zittrige Hand hinterließ einen roten Fleck auf seiner Brust. Direkt über Juvenals Herz. Stumm schloss er die Augen. Es war seine Schuld, denn er war der Leitwolf. Er hatte Sancho zu viel abverlangt, indem er ihn mit albernen Stiefeln behangen hatte. Durch eine Nichtigkeit, auf die er gut hätte verzichten können, hatte er den Tod seines Omega verursacht.
„Ihr werdet glücklich … sein. Mit Mylady. Das ist alles, was … ich mir für Euch wün…“
Der letzte Herzschlag versiegte. Der Kopf seines treuen Dieners fiel zurück. Augen, in denen stets aufrichtige Treue und Anhänglichkeit gestanden hatten, wurden blind. Während Juvenal im Laub kauerte, seinen Omega in den Armen, stieg die Sonne höher, doch ihr Licht konnte dem schlaffen Körper keine Wärme mehr schenken. Tod stieg in seine Nase. Juvenal bettete Sancho in das Laub, rieb über sein Gesicht, grub die Fingernägel in seine Wangen. Versagt. Wieder einmal versagt. Angesichts von Sancho, vor dem er kniete, schien ihm seine Stellung unter den Sippen, sein Ruf und sein Ruhm eine einzige große Lüge zu sein. Eine über Jahrzehnte andauernde Farce. Berenike hatte einen besseren Gefährten verdient, und doch sehnte er sie mit jeder Faser seines Herzens herbei. Die Melodie ihrer Stimme hätte seinen Schmerz gelindert. Der Verlust von Alba, Sorscha und auch Gilian hatten ihm keine Tränen entlockt – und auch jetzt konnte er nicht weinen. In seinem Mund war eine solche Bitterkeit, dass sie bis zu seinem Magen hinab brannte und sein Inneres versengte. Er schnellte auf, packte das Falleisen und schmetterte es gegen die umstehenden Bäume. Borke platzte ab, Splitter flogen auf, und schließlich brach das Scharnier entzwei. Er schleuderte die beiden Teile weit von sich.
Sein Toben war die falsche Ehrbezeugung für seinen Omega. Er verdiente einen großen Scheiterhaufen und einen langen Klagegesang. Um Fassung ringend drückte Juvenal den Rücken durch und suchte in den blutbefleckten Kleidungsstücken nach den beiden Feuersteinen, die er hineingeschoben hatte. Finden konnte er sie nicht. Sancho war so fröhlich herumgesprungen mit diesem albernen Bündel auf seinem Rücken, ein Bajazzo bis zu seinem Ende, dass die Feuersteine herausgefallen sein mussten. Mit einem wutentbrannten Aufbrüllen sprang Juvenal auf, lief ein Stück des genommenen Weges zurück und erkannte die Unsinnigkeit seines Tuns. Es war unmöglich, die Feuersteine zu finden. Und er war damit unfähig, Sancho in aller Würde dem Feuer zu übergeben. Sein Herz wurde eng. Er benutzte die Hände und eine Hälfte des zerbrochenen Falleisens, um eine Mulde auszuheben. Ob dieses armseligen Grabes stieg Scham auf. Er legte Sancho hinein, berührte zum Abschied seine Wange und schob Erdreich und Laub über ihn.
„Ich kehre zurück, Sancho. Das zumindest kann ich dir schwören. Ich kehre zurück“, murmelte er vor dem kleinen Hügel am Fuße einer Eiche.
Nackt und mit steifen Beinen machte er sich auf die Suche nach einem Bachlauf. Ein leises Gluckern leitete ihn.
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