Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
die Luft aus den Lungen zu pressen. Berenike umfasste seine breiten Schultern. Sein Körper schien zu glühen.
„Wie konntest du uns so schnell …?“
Ein ungnädiger, geradezu gewalttätiger Kuss erstickte jedes weitere Wort und beantwortete ihre unvollendete Frage. Sehnsucht nach ihr hatte ihn vorangetrieben. Seine Lippen entbehrten jeglicher Zartheit, wollten erobern und dominieren. Er drang tief in ihre Mundhöhle vor und beanspruchte sie für sich. Seidige Zungenschläge raubten ihr den Atem. Sie umschlang ihn so fest sie es vermochte. Auch sie hatte ihn schmerzlich vermisst. Abrupt zog er den Kopf zurück. Seine kantigen Gesichtszüge gehörten einem Krieger und keinem Liebhaber auf Freiersfüßen. Gelbe Stromlinien glommen in seinen dunklen Augen.
„Nie. Wieder!“, knurrte er dumpf. „Nie wieder lasse ich dich allein.“
Damit kam er einer Liebeserklärung so nah, wie es möglich war. Sie hatte nach einem solchen Geständnis gegiert, aber jetzt, da sie es erhielt, misslang ihr Lächeln. Ihre Augen wurden feucht, gerade weil sie seinen Halt in dieser Nacht mehr denn je brauchte.
„Du hast mir so gefehlt. Mica …“
Wieder verschloss er ihre Lippen mit seinem Mund und legte keinen Wert auf eine Erklärung. Mica und sein Schicksal waren ihm einerlei. Sie stemmte die Hände gegen seine nackte Brust. Wie sollte sie diese Küsse genießen, wenn ihr Bruder Todesqualen durchlitt? Widerstrebend gab Juvenal dem Druck ihrer Arme nach.
„Was?“, zischte er.
„Es ist etwas Furchtbares geschehen. Mica …“
Diesmal wurde sie von einem Aufschrei unterbrochen. Er kam von weiter unten. „Berenike? Hilfe!“
Juvenal richtete sich alarmiert auf und reckte den Hals in Richtung Klippe. „Das ist Grishan. Grishan!“
„Ich bin hier unten. Am Wasser!“
Fluchend kam Juvenal auf die Füße und zog Berenike an den Handgelenken mit. „Bei allen Höllenhunden, was treibt der Junge schon wieder? Ist er abgestürzt?“
„Nein“, beruhigte Berenike ihn. „Er ist hinabgestiegen, um Mica aus dem Wasser zu ziehen. Wir müssen zu ihm. Ganz in der Nähe gibt es einen Abstieg. Ich war auf der Suche danach, als du …“
Juvenal marschierte dicht an den Rand und beugte sich furchtlos vor. Ohne die Augen von ihm wenden zu können, folgte Berenike ihm. Es war wahrlich die falsche Zeit, um sich an seiner Nacktheit zu ergötzen, aber sie konnte sich einfach nicht sattsehen. Gebräunte Haut über langen Muskeln, ein kräftiger Rücken und ein Hintern, der vermutlich hart genug war, um Nüsse darauf zu knacken. Noch vor ihr fand er den steilen Pfad, ergriff ihre Hand und kletterte mit ihr hinab. Während sie über loses Geröll rutschten, erzählte sie ihm alles.
„Vampire können tief fallen und erholen sich davon. Außerdem kann er schwimmen“, murrte Juvenal.
Sein Mangel an Begeisterung, wieder einmal gestört zu werden und sich anderen Angelegenheiten widmen zu müssen, war aus seiner Stimme herauszuhören. „Es ist Salzwasser“, erwiderte sie beschwörend. Verständnislos schnaubte er. Woher sollte er es auch wissen? Die Gefahr, die von der See ausging, war ein wohl gehütetes Geheimnis des alten Volkes. Hätten die Werwölfe jemals davon erfahren, wäre ihnen eine unschlagbare Waffe in die Hand gegeben worden.
„Hilfe!“, schrie Grishan in zunehmender Panik zu ihnen hinauf. „Berenike? Ist Juvenal bei dir?“
„Wir kommen ja schon so schnell wir können!“, brüllte Juvenal in wachsender Ungeduld. „Heilige Hundescheiße, dieser Junge macht mich noch wahnsinnig! So schlimm kann es nicht sein.“
„Es ist schlimmer“, antwortete Berenike dumpf und drängte Juvenal zur Eile. Die letzten Meter auf den Kieselstrand kürzten sie durch einen gewagten Sprung ab. Die großen runden Steine verrutschten und Berenike stauchte sich den Knöchel. Über den unebenen Strandstreifen rannte Grishan auf sie zu. Wild wedelten seine Arme durch die Luft, als könnte er von ihnen übersehen werden. Auf seinem schmalen Gesicht stand tiefes Entsetzen. Es verleitete ihn dazu, Juvenal um den Hals zu fallen. Für diesen kam die Umarmung viel zu überraschend, um sie erwidern zu können. Er schien ein wenig verlegen und klopfte Grishan auf den Rücken. Viel zu aufgeregt, um die Nacktheit des Werwolfes zu bemerken, sprudelte es aus Grishan hervor.
„Was für ein Glück, dass du hier bist! Wir müssen ihm helfen. Nein, Berenike! Du nicht. Du solltest dich fernhalten.“
Berenike schlug einen scharfen Haken um Grishans weit
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