Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
beschwichtigende Berührung auf seiner nackten Haut. Sie würde wissen, wann es genug war. Er verstrickte sich in den weit geöffneten Augen des Vampirs. Die Pupillen wurden groß und erlangten ihre Konturen zurück. Aus fahlem Grün wurde im Mondschein sattes Türkis. Mica richtete die Augen von Juvenal hinauf zum Sternenhimmel.
„Es ist …“, hob Berenike leise an.
Bevor sie Einhalt gebieten konnte, spürte Juvenal einen feuchten Zungenschlag, der die Bisswunden versiegelte. Mica ließ von ihm ab. Sein Atem kam leichter, seine Nase ähnelte wieder etwas mehr einer Nase, die Wunden in seinem Gesicht hatten sich geschlossen. Juvenal konnte Verzweiflung wittern und zog den Arm zurück. Die Haut an seinem Handgelenk war unversehrt.
„Geht es dir gut?“, fragte Berenike.
„Ja“, behauptete er, obwohl ihm schwindelig war und er keine Ahnung hatte, ob sie ihn oder Mica gefragt hatte.
„Dein Blut ist exquisit, Garou. Es schmeckt genauso, wie das Blut eines Feindes schmecken sollte. Oder das eines guten Freundes.“ Mica kicherte rau und drehte den Kopf zur Seite, den Wellen zu, die ein Stück von ihm entfernt nach ihm zu lecken schienen.
Berenike legte die Arme um Juvenal, als wollte sie ihn wiegen. „Ich danke dir. Ich danke dir so sehr, mi cielo.“
Dann schwiegen sie und warteten, in Mondlicht gebadet und umgeben von Wellenrauschen. Ein Frösteln zog durch Juvenal. Der Blutverlust machte sich bemerkbar. Er war froh, einfach auf den harten Kieseln zu sitzen und über das Meer zu blicken. Schaumkronen tanzten auf den Wellen. So viele Leben, die er nicht hatte retten können, und nun hatte er einem Vampir das Dasein erleichtert. Alles war gleich geblieben, und gleichzeitig war alles anders geworden. Müde blinzelte er zum Mond auf. Was hatten ihnen all die Kämpfe letztendlich eingebracht? Einzig Verluste.
„Ich habe etwas gefunden!“, riss Grishans aufgeregte Stimme ihn aus seinen Betrachtungen.
Der Junge war schlichtweg zu umtriebig und neugierig. Ihm war die Wartezeit zu lang geworden und so war er herumgestreunt. Juvenal legte den Arm um Berenike und drehte sich zu ihm um. Grishan wies zu den Klippen.
„Eine Höhle! Fässer stehen darin und Stoffballen! Wer sie wohl dort verstaut hat? Aber es ist trocken, und wir können dort den Morgen abwarten und sogar ein Feuer machen!“
„Schmuggler“, antwortete Juvenal.
„Die habe ich nicht gesehen“, meinte Grishan enttäuscht.
Eine Keilerei mit Schmugglern wäre ihm gerade recht gekommen, um sein Mütchen zu kühlen. Im Gegensatz dazu war Juvenal froh, jeder weiteren Konfrontation ausweichen zu dürfen. Seine Glieder waren schwer. Die Kraft, die er an Mica gegeben hatte, musste er in den nächsten Stunden entbehren. Schwerfällig stand er auf.
„Wir tragen Mica dorthin.“
„Ich kann auf eigenen Füßen stehen“, zischte Mica.
Um den Beweis anzutreten, rollte er auf den Bauch und hievte sich auf Hände und Knie. In dieser Haltung verharrte er, bis Grishan ihn unter den Achseln packte und ihm aufhalf. Sobald er aufrecht stand, verzichtete Mica auf fremde Hilfe und setzte einen unsicheren Schritt vor den nächsten. Grishan ging ihm voran.
„Dort entlang. Es ist nicht weit.“
Mica stolperte und taumelte über die Kieselsteine. Sein Keuchen wurde immer lauter, doch wehrte er jede Stütze ab. Sie brauchten lange für den kurzen Weg zu der Schmugglerhöhle, vor der er sich auf einen Flecken mit weichem Sand fallen ließ. Als Berenike zu ihm stürzte, winkte er ab.
„Lasst mich hier draußen liegen. Ich will die Sterne sehen.“
Grishan blieb bei ihm, holte Feuerholz und entzündete es, während Berenike und Juvenal die Höhle betraten und sich ein Lager bereiteten.
Himmelblaue Stoffbahnen aus schwerem Samt bedeckten den blanken Stein des Höhlenbodens. Eine weitere Stoffbahn hatten sie über sich ausgebreitet. Es war kein besonders weiches Bett, das sie sich zwischen dem Schmugglergut ausgelegt hatten, aber dennoch fühlte Berenike sich behaglich.
Die Asrai war mit dem Kristall im Meer versunken und konnte ihnen nicht mehr gefährlich werden. Mica war genährt und kräftig genug, um sich mit Grishan zu unterhalten. Ihre leisen Stimmen wehten hin und wieder in die Höhle. Mica klang heiser und rau, doch seine Wunden heilten bereits, und schon bald würde der bestrickende Schmelz seiner Stimme zurückkehren. Doch das größte Glück fand Berenike in Juvenal. Seine Nähe vertrieb die Erinnerung an die letzten grauenvollen Stunden. Seite an
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