Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
zu und zwang sie zum Schweigen. Juvenal stand allein unter seinen Feinden und bot ihnen die Stirn. Ein Wolfskrieger, der dem Tod furchtlos begegnete. Über seine Lippen floss eine Lüge nach der anderen, während er Berenike ignorierte. Dabei sagte er all das nur, um ihr Leben zu retten und sein eigenes für sie zu geben.
„Welcher Alphawolf könnte der Versuchung widerstehen, bei einer Lamia zu liegen? Dazu noch bei einer Tochter von Selene. Es war leicht, sie zu verführen und noch leichter war es, in ihren feuchten Schoß einzudringen und ihr die Unschuld zu nehmen. Ich gebe zu …“ Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. „Sie war der perfekte Fick.“
Ein Aufschrei dröhnte ob dieser Schmähung auf. Die Lamia kreischten, die Vampire brüllten. Ohne einen Schritt zurückzuweichen, erwartete Juvenal ihren Angriff. Sie schossen auf ihn zu. Eine Woge grauer Umhänge schlug über ihm zusammen. Aus dem karg erleuchteten Gang jagte ein Jaguar heran, ein gefleckter langer Streifen, der sich mit ausgefahrenen Krallen in das Getümmel stürzte. Mica stieß einen derben Fluch aus und warf sich mitten hinein in den Tumult, um Grishan beizustehen. Sobald Selene ihren geliebten Sohn in den Kampf verwickelt sah, stieß sie Berenike von sich und eilte Mica zu Hilfe. Berenike stolperte rückwärts, verfing sich in einem schlaffen Fuß und stürzte. Noch im Tod hatte Branwyn ihr ein Bein gestellt. Ihre Schläfe traf auf eine Kante des umgestürzten Sockels. Der ohrenbetäubende Tumult wurde zu einem monotonen Rauschen. Sie riss die Augen auf, um Juvenal noch einmal zu sehen, doch ein Schleier aus Grau legte sich über die Kämpfenden und verwehrte ihr diesen letzten Wunsch.
„Dein Ansinnen ist lächerlich, Mica. Sie gehört nach Rom unter meine Obhut. In meinem Haus wird sie vergessen. Sie ist noch jung. Mit der Zeit werden ihre Wunden heilen.“
Die einzige Wunde, die Berenike spürte, als das Flüstern ihrer Mutter durch ihre Ohnmacht drang, war ein stechender Schmerz in der Schläfe. Vage erinnerte sie sich, gestürzt zu sein. Dabei war sie mit dem Kopf gegen eine harte Kante geschlagen. Tumult und Kampfgeräusche. Hinter ihren geschlossenen Augen fügten sich Bilder zusammen wie bei einem Kaleidoskop. Der bezwingende Duft der Vampire … Selbst jetzt noch stieg er in ihre Nase, obgleich lediglich als flüchtiger Hauch.
Vampire! Überall waren sie gewesen. Anstelle von Glück brach das Unglück über sie herein. Juvenal! Sie versteifte sich. Der Schmerz in ihrer Schläfe wanderte hinab zu ihrem Herzen und durchbohrte es.
„In einigen Jahren werde ich ihr einen würdigen Vampir erwählen, und sie wird glücklich werden. Was hingegen erwartet sie in Paris? Eine Begegnung mit seinem Sohn ließe sich kaum vermeiden, und das würde sie zu sehr aufwühlen.“
„Weshalb lässt du sie das nicht selbst entscheiden, Selene?“, entgegnete Mica ungehalten.
„Weil ich ihre Mutter bin und weiß, was für sie das Beste ist!“
Berenike öffnete die Augen zu einem schmalen Spalt. Offenbar waren sie noch immer in der Abtei von Medmenham. Es musste ein Nebengebäude sein, denn in diesem Gemach stand ein breites Bett, in dem sie lag. Die Matratze war weich, und aus den Laken stieg ein Geruch nach altem Schweiß und Moschus auf. Es war dunkel, doch war es weniger die Dunkelheit der Nacht, sondern das diffuse Dämmerlicht hinter geschlossenen Fensterläden. Durch eine schmale Ritze fiel Licht, dünn wie ein Bindfaden. Außer dem Bett gab es sehr wenig zu sehen. Eine schwere, dunkle Kommode. Zwei wuchtige Stühle vor einem erloschenen Kamin und eine verstaubte, seit Langem leere Karaffe auf einem runden Tischchen. Mica saß in einem dieser Stühle. Selbst in diesem trüben Licht leuchteten seine Locken in einem satten Goldton. Abweisend hatte er die Beine übereinandergeschlagen und die Arme verschränkt. Selene durchmaß die Länge des Zimmers und verteilte dabei ihren ureigenen, frischen Ozeanduft. Vor Mica blieb sie stehen.
„Zudem hast du deine eigene Pflicht zu erfüllen, Mica. Bereits diesen Herbst wird Rebecca dich in Paris aufsuchen.“
Mit einem leisen Aufstöhnen legte Mica die Hand über die Augen. „Du musst mich nicht ausdrücklich daran erinnern, wozu ich geworden bin. Sie haben mich zum Zuchtbullen degradiert.“
„Obwohl du gut bestückt sein magst, bist du kein Zuchtbulle“, erwiderte Selene spitz. „Es ist deine Aufgabe, unser Volk zu erhalten und reinblütige
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