Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Nachkommen zu zeugen. Schon viel zu lange hast du damit gewartet.“
Humorlos lachte er auf. „Du hast es geschickt eingefädelt, das muss ich dir lassen. Ob ich diese Vereinigung überlebe oder der Giftbiss einer Lamia meinem Dasein ein Ende setzt, ist natürlich zweitrangig. Hauptsache, du bekommst, was du dir wünschst. Reinblütige Enkelkinder.“
„Solange du Vorsicht walten lässt und deine Sinne beisammenhältst, kann dir absolut nichts zustoßen. Schließlich weiß Rebecca, wie viel du mir bedeutest“, herrschte Selene ihn ungeduldig an. „Sobald dein Kind in ihr heranwächst, wird alles so sein wie es gewesen ist. Für dich gibt es keinen würdigen Nachfolger unter den Vampiren. Schon im nächsten Jahr kannst du all deine Titel wieder für dich beanspruchen.“
Mica ließ die Hand sinken und schaute zu Selene auf. Ohne ihren Umhang, den sie abgelegt hatte, war sie eine schmale Silhouette in einem leichten Sommergewand. Ihre Arme waren bloß, und ihr Haar fiel in tiefem Rot über ihren Rücken. Sie besaß die Anmut eines jungen Mädchens und den unbeugsamen Willen einer Matriarchin. Stumm maßen die beiden sich ab. Berenike hatte genug gehört. Es war unmöglich, sich weiterhin schlafend zu stellen. Abrupt setzte sie sich auf. Das Schicksal ihres Bruders, so bitter es ihm erscheinen mochte, trat weit hinter ihre Ängste zurück.
„Was ist mit Juvenal? Und Grishan! Sind sie …“ Unfähig, es auszusprechen, versagte ihre Stimme.
Selene kam auf sie zu und berührte die Prellung an ihrer Schläfe. Ein bleiches Gesicht und ein Mund von der Farbe einer reifen Erdbeere senkten sich auf Berenike zu. „Du musst sie vergessen. Sowohl ihn wie auch den jungen Jaguar.“
„Was ist mit ihnen geschehen? Mica!“
Berenike sah an ihrer Mutter vorbei zu ihrem Bruder. Der Ernst in seiner Miene schürte ihre schlimmsten Befürchtungen. Aus dem Stechen ihres Herzens wurde ein stockendes Holpern.
„Sie sind am leben, Nike“, beruhigte er sie mit einem weichen Timbre in der Stimme.
Als hätte sie etwas in ihrer Benommenheit übersehen, sah sie sich wild im Zimmer um. „Wo sind sie?“
„Fort“, kam Selene Mica in einer Antwort zuvor. „Sie sind fort, und das ist gut so.“
Das konnte doch nicht sein! Juvenal wäre niemals ohne sie fortgegangen. Dann jedoch glaubte sie, zu verstehen. Natürlich hatte er fliehen müssen, allein schon, um Grishan in Sicherheit zu bringen. Trotz ihres schmerzenden Kopfes schlug Berenike den wollenen Umhang beiseite, den Selene über sie ausgebreitet hatte, und setzte die Füße auf den Boden.
„Wo warten sie auf mich?“
Ein giftgrünes und ein türkisblaues Augenpaar verhakten sich ineinander. Mica verzog die Lippen und wandte sich dem Kamin zu, der anmutete wie ein schwarzes Loch, während Selene die Hände auf Berenikes Schulter senkte und sie auf die Bettkante drückte.
„Niemand wartet auf dich, Liebes. Es hat uns alles abverlangt, ihr Leben zu erhalten. Damit musst du dich zufriedengeben. Juvenal de Garou ist bereits auf dem Weg nach Spanien und du wirst mit mir nach Rom zurückkehren.“
Mit voller Wucht kehrte der Schmerz zurück und wollte Berenike niederstrecken. Er war fortgegangen. Ohne sie. Ihre Zähne trafen so hart aufeinander, dass sie fürchtete, die Spitzen ihrer Fänge würden brechen.
„Du hast ihn dazu gezwungen“, zischte sie kaum verständlich hervor.
„Das war unnötig. Es war eine lange Verhandlung, zu der er seine Zustimmung gab. Nike, deine Leidenschaft für diesen Werwolf wird verfliegen. Du musst dich abfinden.“
Niemals! Jede einzelne Faser ihres Herzens begehrte dagegen auf. Niemals würde sie sich abfinden und ihn aufgeben. Seine Liebe war das Einzige von Wert in ihrem Dasein. Und sie wusste, dass es ihm ebenso erging. Widerstand wollte aus ihr hervorbrechen, der Wunsch, die Hände ihrer Mutter beiseitezuschlagen und ihr das Gesicht zu zerkratzen. Noch vor wenigen Monaten hatte Selene selbst daran gedacht, sie einem anderen Werwolf zu überlassen. Tizzio di Mannero, dem eine Hand fehlte und der niemals dazu bestimmt gewesen war, eine Sippe anzuführen. Und nun sprach sie sich gegen eine Verbindung zu einem Alphawolf aus, der ein Fürst unter den Sippen war. Es war dermaßen verlogen.
Mica hatte sich ihr wieder zugedreht. Seine Augen hatten sich zu einer stummen Warnung verschmälert. Jegliches Widerwort würde Selene Maßnahmen ergreifen lassen. Sein Blick schoss von Berenike zu den geschlossenen Läden und wieder zurück zu ihr.
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