Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
durchaus seine Reize. Das Mahagonibraun seines langen, dichten Haares unterstrich seine edle Blässe. Er war alt, besaß Erfahrung und Macht. Für eine Lamia, die ihm gewachsen war, wäre er ein würdiger Vater ihrer Nachkommen. Doch Berenike war ihm nicht gewachsen. Er konnte sie zu seinem Eigentum erklären und mit ihr umspringen, wie es ihm beliebte. Er breitete die Arme aus. Die Spitzen seiner Fänge schimmerten feucht.
„Es ist mir gleichgültig, wodurch es geschehen konnte. Ich nehme es als glückliche Fügung. Du und ich werden die Begründer einer neuen Dynastie. Der Stamm der Mechalath und der Lillake finden zueinander. Das alte Volk wird uns dafür huldigen.“
„Sie huldigen ausschließlich dem Goldenen, meinem Bruder.“
„Verhältnisse ändern sich, dunkles Täubchen. Ich werde sie verändern.“
Hinter ihrer Stirn wirbelte eine Wolke sich überschlagender Gedanken und machte sie konfus. Sie musste hier raus. Da der Leuchter keine geeignete Waffe gegen Branwyn war, setzte sie ihn zurück auf den Tisch. Außer Vermutungen hatte er nichts vorzuweisen. Und diese konnten erschüttert werden.
„Du haust in einem dreckigen Loch gemeinsam mit Ratten, Branwyn. Wo sind deine Diener, wo deine Getreuen? Du bist allein in diesem alten Gemäuer und besitzt nichts, das mich überzeugt. Ein wahrer Nachfahre der Lillake wäre niemals so tief gesunken.“
Über sein markantes Gesicht legte sich ein Schatten. Instinktiv hatte sie einen wunden Punkt getroffen. „Du irrst dich, Berenike. Ich besitze sehr altes Blut. Allein dafür schuldest du mir Ergebenheit, und wenn ich dir einen kleinen Schluck davon gegönnt habe, wirst du sie mir zollen.“
„Du bietest mir dein Blut?“, schnurrte sie. „Fürwahr, mein langes Fasten hat sich gelohnt.“
Schlagartig schnellten seine Pupillen auf. Ihre Andeutung hatte einen Keil in sein Selbstvertrauen geschlagen, und sie würde ihn noch tiefer hineintreiben. Den Blick auf seinen Hals gerichtet, glitt sie so dicht vor ihn, dass sie die Wärme seines Körpersspüren konnte. Ihr Schnurren wurde dunkler, verdoppelte sich in ihrer Kehle. „Lamia kennen viele Methoden, einen Vampir zu betrügen. Bereits der Versuch, es mit uns aufzunehmen, macht euch zu Verlierern. Ist dir das schon aufgefallen, Branwyn?“ Mit den Fingerspitzen berührte sie sein Haar. „Hältst du dein Angebot aufrecht?“
Er wich einen Schritt zurück und sog den Atem ein. „Dein Biss ist harmlos!“
„Gewiss. Absolut harmlos. Schenke mir dein Blut, dann wird es sich bestätigen.“
Sie hatte ihn verunsichert, aber da er die Lüge erkennen würde, sobald sie tatsächlich zubiss, war es eine Pattsituation. Sollte sie sich einfach abwenden und auf die Stiege zugehen? Würde er sie gehen lassen? Ihre Anspannung wurde zu einer Fessel. Sie musste sich der todesähnlichen Starre erwehren, die ihre Glieder versteifen wollte. Es war der Reflex einer jungen Lamia bei großer Gefahr. Ihr Sehfeld schrumpfte. Sie sah seine Hand nicht kommen, konnte dem Schlag nicht mehr ausweichen, der ihren Kopf zur Seite warf. Ihre Wange stand in Flammen. Blut füllte ihren Mund. Branwyn grub die Hand in ihr Haar und bog ihren Kopf zurück. Seine Worte strichen heiß über ihre Kehle.
„Jederzeit kann ich dich auslöschen, dich aussagen bis zum letzten Blutstropfen. Da ich aber eine Mutter für meine Nachkommen brauche, werde ich darauf verzichten und nur so viel von dir nehmen, damit du gefügig wirst. Und soll ich dir etwas verraten, dunkles Täubchen? Es wird dir gefallen.“
Zu hoch gesetzt und verloren. In ihren Schläfen pochte ein viel zu schneller Herzschlag. Von der eigenen Familie war sie abgelehnt worden, Rom war weit fort und von ihrem Geburtsrecht war einzig ein winziger Rest Stolz geblieben. Nun sollte ihr auch dieser genommen werden. Sie hatte anderes verdient. Eine kleine Unze Glück stand ihr zu. Sein Mund näherte sich ihrem Hals, berührte ihre Haut. Niemals würde sie kampflos aufgeben. Sie spannte sich zum Gegenschlag an, als ein dumpfes Grollen durch den Speicher rollte.
„Nimm deine schmierigen Hände von ihr, Reißzahn!“
Branwyn, ebenso überrumpelt wie Berenike, ließ von ihr ab. Im Aufgang zum Speicher stand Juvenal. Wie immer es ihm gelungen war, sie hatten sein Herannahen überhört. In seinen Händen lag eine schwere Eisenstange. Ein schwarz gekleideter Werwolf, der sich zum weißen Ritter aufschwang. Für eine Lamia. Es war absurd. Obendrein war es absolut verrückt, einen Vampir ohne den
Weitere Kostenlose Bücher