Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
krallte die Finger in die schwarzen Spitzen seiner Hemdbrust. Die Ahnung eines viel zu frühen Erlöschens lähmte ihre Sinne. Eine altbekannte Schwärze kroch auf sie zu. Ihre letzte Zuflucht war die todesähnliche Starre einer kindlichen Lamia. Sie verlor das Bewusstsein.
„Dort oben an den Eisenringen solltet Ihr sie festbinden, Sir. Dazu sind sie gedacht.“
Juvenal legte Berenike auf der glänzenden Tischplatte aus Ebenholz ab und blickte zu der Stelle in der Decke, auf die Melody wies. Als er Grishan aus der Zelle befreit hatte, waren ihm die Eisenringe in den großen Steinquadern entgangen. Lederschlaufen für die Handgelenke hingen herab. Ein Mann von seiner Größe konnte, wenn er sich streckte, die Füße auf den Boden setzen, aber Berenike würde an den Ringen mindestens zwei Handbreit über den Steinplatten baumeln. Obwohl sie voller Tücke steckte, ging eine solche Behandlung zu weit. Schlimm genug, dass sie das Bewusstsein nicht zurückerlangte.
Grishan streckte die Hand aus und pikte ihr den Finger in die Seite.
„Hör auf damit, Grishan!“
„Ich wollte nur wissen, ob sie noch am Leben ist.“
„Natürlich lebt sie“, mischte Sancho sich ein.
Seit Juvenal mit einer Lamia auf den Armen den Hort betreten hatte, gebärdete sich sein Omega wie ein aufgeblasener Pfau. Die Beute seines Leitwolfs war so selten, dass es auch ihm Ehre eintrug. Sancho schob die Daumen in den Hosenbund und glänzte mit seinem Wissen.
„Lamia fallen in eine Starre, wenn sie in die Ecke gedrängt werden und aufgeben müssen. Besonders, wenn sie noch jung sind. Die da ist allenfalls ein halbes Jahrhundert alt.“
Abwägend kniff Grishan ein Auge zu. „Sie sieht höchstens aus wie zwanzig.“
Sancho reckte den Zeigefinger in die Höhe. „Alle Lamia erwecken den Anschein von ewiger Jugend. Ob sie nun zwanzig oder zweihundert Jahre alt sind. Einige leben seit Jahrtausenden, das musst du dir einmal vorstellen, Grishan. Sie haben ganze Kulturen überdauert.“
Während Sancho seine Kenntnisse weitergab und Grishan sich etwas vorstellte, legte Juvenal die Finger an Berenikes Handgelenk. Ihr Puls war langsam und schwer zu ertasten. Blind waren ihre Mandelaugen zur Decke gerichtet. Die dunkelbraunen Iriden schimmerten matt. Grishan beugte sich über sie und spiegelte sich darin. Seine Faszination war zum Greifen stark. Wieder streckte er einen Finger und strich über eine lose Haarsträhne. Für Juvenal war es ein Beweis, dass eine Lamia jeden bezaubern konnte, sogar einen jungen Werwolf, der an Frauen keinen Gefallen fand. Ungehalten schnauzte er ihn an. „Ich brauche Seile. Lang müssen sie sein. Und fest.“
„Warum sagst du das nicht Sancho?“
Weil er Grishan für eine Weile der Wirkung einer Lamia entziehen wollte. „Geh!“
Nach einem hitzigen Blickwechsel trollte sich Grishan. Bis er zurückkehrte, gab es nichts zu tun. Juvenal sah wieder zu den Ringen an der Decke. Die Lederschlaufen waren speckig, als wären sie häufig benutzt worden. Melody stand darunter, wie üblich den Nacken in Demut gebeugt. Ein mulmiges Gefühl stellte die Härchen auf seinen Unterarmen auf.
„Hat Gilian die Eisenringe in den Vollmondnächten … benutzt?“
Ein rosiger Hauch überzog ihre Wangen. „Ja. In gewisser Weise … Eigentlich waren die Schlaufen für mich bestimmt, Sir.“
„Für dich?“, quietschte Sancho und riss die Augen auf.
Gravitätisch nickte Melody. „Die Eisenringe und der Riemen. Beides diente dazu, die Bestie in seinem Inneren zu bändigen. Ich verlieh ihm die Stärke, dem Ruf des Vollmondes zu widerstehen.“
Über die Bestie wusste Sancho nur so viel, dass sie in jedem Alphawolf schlummerte und eine Gelegenheit suchte, unter dem Vollmond zu wüten. Die Aggression, die damit einherging, hatte er noch nie erlebt, denn als Alba dem Blutrausch erlag,war er noch ein Kind und Juvenal benötigte keine besondere Sicherung. Ihm reichten geschlossene Läden und ein ruhiges Zimmer, um die Vollmondnächte zu überstehen. In seiner Jugend war das anders gewesen. Daher konnte er beurteilen, dass die massiven Gitter der Zelle dem Toben eines eingesperrten Werwolfes standhielten. Gilian hätte niemals aus diesem Keller ausbrechen können.
„Mein Sohn hat dich an die Eisenringe gefesselt und mit einem Riemen geschlagen?“, vergewisserte er sich.
„Ja, Sir. Mir fiel es zu, ihm jeden Monat beizustehen. Es war eine große Ehre.“
Eine Ehre? Juvenal schluckte. Sand schien in seiner Kehle zu kleben, seinen Hals
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